Schnellzug im Schneckentempo

Heute nimmt der neue spanische Hochgeschwindigkeitszug seinen Betrieb auf. Doch mit 175 Stundenkilometern ist er nicht schneller als ein herkömmlicher Zug. Die Hoffnung der Spanier, ihre neue Technik europaweit zu vermarkten, sinkt damit

aus Madrid REINER WANDLER

Seit heute rollt er nun, der AVE von Madrid über Saragossa nach Lleida. Ab Samstag soll er erste Reisende befördern. „Der Stolz spanischer Ingenieurskunst“ sei der Hochgeschwindigkeitszug, so der Minister für öffentliche Arbeiten, Francisco Alvárez Casco. Doch auch die lautesten Lobpreisungen können nicht darüber hinwegtäuschen: Der neue AVE, die zweite Strecke nach der bereits 1992 fertig gestellten Verbindung von Madrid nach Sevilla, ist eher ein Beispiel für Pfusch am Bau als eine Glanzleistung der iberischen Ingenieurszunft.

Die Züge sollten schon im Februar auf den 370 Kilometern von Madrid nach Lleida den Betrieb aufnehmen. Doch nach einer Jungfernfahrt mit Presse und Prominenz wurden sie wieder eingemottet. Ein Stück des Gleisbettes einer Parallelstrecke war weggebrochen, spontane Entladungen kappten eine Oberleitung. Außerdem tat die Signalanlage nicht. Ein Fehler, der bis heute nicht behoben ist. Deshalb wird der AVE erst einmal mit herkömmlichen Sicherheitssystemen rollen. Das neue, funkunterstützte Leitsystem, das bis zu 350 Stundenkilometer schnelles Fahren ermöglicht, funktioniert noch immer nicht. Der italienische Vertragspartner Ansaldo-Signal testet die Technik bisher ohne Erfolg. Der Zug wird deshalb zunächst nur mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 175 und höchstens 200 Stundenkilometern rollen.

Doch nicht nur die Signalspezialisten aus Italien lassen sich Zeit. Beim bisherigen Bauabschnitt wurden 84 Prozent der Verträge nicht rechtzeitig erfüllt. Der Preis der Strecke Madrid–Lleida stieg dabei um ein Viertel auf 4,5 Milliarden Euro. Dass auf dem noch einmal so teuren verbleibenden Stück Lleida–Barcelona und von dort an die französische Grenze tatsächlich Ende 2004 der Betrieb aufgenommen wird, glaubt kaum jemand mehr.

Experten sind gar davon überzeugt, dass das jetzt eingeweihte Teilstück bald wieder Schlagzeilen machen könnte. Nach Ansicht von Geologen fährt der Zug auf unstabilem Untergrund. Vergangene Woche tat sich nur 650 Meter vom Bahndamm entfernt ein Loch mit 8 Meter Durchmesser und 16 Meter Tiefe auf. Bereits zu Jahresbeginn war unweit der Gleise ein Stück weggebrochen.

Der wirtschaftliche Schaden durch die Verzögerungen lässt sich kaum abschätzen. Anders als Madrid–Sevilla, wo einfach funktionierende deutsche und französische Technik gekauft wurde, sollte die neue Strecke zum Modell für Europa werden. Die immer noch nicht funktionierenden Signalanlagen sollen als neue Technologie „richtungsweisend“ sein, genau wie das von der Siemens-Tochter Alarmcom gebaute Warnsystem für Gegenstände, die von Brücken herabfallen. Auch bei den Zügen setzen die Spanier auf eigene Entwicklung. Neben dem neuen ICE von Siemens wird von Madrid nach Barcelona ein Hochgeschwindigkeitszug der Traditionsfirma Talgo zum Einsatz kommen. Die eigens zum Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke gegründete GIF verspricht sich von so viel neuer Hightech Aufträge im Ausland. Zumindest war das vor den Pannenserie so.