Masterplan für Mamas Liebling

Kinder von null bis sechs sind besonders lernwillig. In Deutschland werden sie in diesem Alter aber nicht gefördert, so eine Studie für das Familienministerium. Die ErzieherInnen-Ausbildung ist die schlechteste in Europa. Jetzt soll alles besser werden

„Man soll Kinder nicht mit einem Bilderbuch abspeisen. Sie müssen selbst was machen“

aus Berlin RUDI NOVOTNY

Bildungsministerin und Großmutter Renate Schmidt weiß, was Kinder brauchen: „Eine Förderung gerade in den ersten Jahren ihres Lebens, denn die entscheiden maßgeblich über Lebensweg und Berufskarriere.“ Um dabei eine entsprechende Qualität sicherzustellen, ließ die Ministerin ein „Gutachten zur Kinderbetreuung“ erstellen. Das Ergebnis legte sie gestern der Presse vor, gemeinsam mit dem Hauptverantwortlichen für das Werk Pädagogikprofessor Wassilios Fthenakis.

Zwei Ziele hält Fthenakis für vorrangig: „Erstens die Entwicklung eines umfassenden Systems von Betreungseinrichtungen für Kinder zwischen null und sechs Jahren und zweitens, diesem Bereich der Betreuung endlich die entsprechende Bedeutung zukommen zu lassen.“ Dieser sei bisher stark vernachlässigt worden. „Dabei geht es das Schicksal des Landes“, meint Fthenakis. Schließlich habe die OECD dieses Jahr in einem Bericht „einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bildung und Produktivität nachgewiesen.“ Und um die Lust an Bildung zu wecken, seien die frühen Jahre des Lebens die besten.

Dieser Meinung ist auch Sven Walter vom Berliner Institut für kreative Sprachförderung: „In den Jahren vor der Einschulung sind die Kinder am neugierigsten. Es wäre falsch, sie da mit einem Bilderbuch abzuspeisen. Sie müssen selbst etwas machen. Zum Beispiel ein Segelboot bauen und dann auch schwimmen lassen. Oder das Wetter mit Hilfe einfacher naturwissenschaftlicher Experimente erklärt bekommen.“

Für Wassilios Fthenakis ist klar, dass solche Kozepte „auch von der Praxis, von Erzieherinnen und Kindern gewollt werden. Das sind zumindest meine Erfahrungen.“

Aber Schiffe bauen ist nur ein erster Schritt. „Wenn das Kind fünf ist, muss man weitergehen, zur Selbstreflexion. Das Kind muss lernen, wie man lernt.“ Was er damit konkret meint, schildert der Professor an dem beispiel eines Kaufladens. „Wenn Kinder ‚Kaufladen‘ spielen, dann muss man ihnen die verschiedenen Perspektiven, die möglich sind, vermitteln. Wie ist die Rolle des Käufers, was will der Verkäufer. Oder die Rolle des Geldes. Kinder glauben, dass das Geld eingeschmolzen wird und dass es dann neues gibt.“ Man dürfe Kinder zwar nicht überfordern. „Aber unterfordern ist genauso schlimm.“ Um diese Zukunftsvision zu verwirklichen, müssten jedoch zuerst einige Veränderungen an der Struktur vorgenommen werden. „Wir haben bei den Erzieherinnen das formal schlechteste Ausbildungsniveau in ganz Europa“, sagt Fthenakis. In seinem Gutachten fordert er daher, akademische Aus- und Weiterbildung für Erzieherinnen anzubieten. An eine Überforderung der Betroffenen glaubt Fthenakis nicht. „Dadurch, dass die Erzieherinnen selber unzufrieden sind, gibt es eine psychologische Aufgeschlossenheit für diese Maßnahmen.“

Zusätzlich soll der Bereich der Früherziehung auch quantitativ gestärkt werden. Bis 2010 wolle man 20 bis 30 Prozent der Kinder ein Betreuungsangebot machen können, bis 2020 sogar 50 Prozent, sagt Fthenakis. 50 Prozent. Das wäre die Quote, die Vorbildländer wie Dänemark haben. Helfen sollen dabei die 1,5 Milliarden, die der Bund ab 2005 zur Verfügung stellen will.

Befürchtungen konservativer Eltern, dass die Kindererziehung durch seine Pläne verstaatlicht wird, wehrt Fthenakis ab. „Wir wollen die Eltern ja sogar mehr einbeziehen.“ Schließlich stehe in dem Gutachten auch die Forderung nach Kindergartenausschüssen, in denen die Eltern mit einem Drittel der Sitze vetreten seien. Die anderen beiden Drittel würden von den Fachkräften und dem Träger gestellt. Hier sollen in Zukunft alle Entscheidungen, die den Kindergarten betreffen fallen. Wassilios Fthenakis: „Die Wahlfreiheit und das Primat der Eltern bei der Kindererziehung bleiben unangetastet.“

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