Behinderte unter Konkurrenzdruck

Werkstätten für Behinderte sehen sich zunehmend dem Druck billiger produzierender Firmen in Osteuropa ausgesetzt. Zeitweise sind die Werkstätten, die Behinderte beschäftigen, wegen der Konkurrenz aus Polen oder Tschechien ohne Arbeit

Die Werkstätten müssen schneller und vor allem billiger Arbeiten

AUS BIELEFELD UWE POLLMANN

In einer Behindertenwerkstatt der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in Bielefeld fertigt Jan-Peter Ritterhoff kleine Metallräder an einer Computer gesteuerten Drehmaschine. Seit 15 Jahren arbeitet der epilepsiekranke Mann hier. Kürzlich wurde medizinisch behandelt und darf nun auch kompliziertere Maschinen bedienen. Ritterhoff ist einer von 2.500 Menschen mit Behinderungen in den Betheler Werkstätten, wo vom Verlöten von Kabeln bis zur Verpackung von Waren vieles geleistet wird. Bisher schätzten das hiesige Unternehmen, aber seit einigen Jahren vergeben immer mehr ihre Aufträge nach Osteuropa.

Die Lohnkosten seien dort geringer, sagt Günter Bornmann, Geschäftsführer der Werkstätten. Die Werkstätten müssten mit dem ersten Arbeitsmarkt der osteuropäischen Länder konkurrieren. „Im Vergleich fallen in tschechischen Betrieben nur 50 Prozent der Kosten einer deutschen Werkstatt für behinderte Menschen an.“ Darüber hinaus lockt der neue EU-Osten wegen weggefallener Zollformalitäten und niedriger Steuern. Wer da bestehen will, muss laut Bornmann schneller, flexibler und vor allem billiger arbeiten: „Es herrscht ein erheblicher Preisdruck.“

Ähnliche Erfahrungen machen viele Behindertenwerkstätten in Deutschland, in denen 200.000 Menschen mit Behinderungen arbeiten. „Gerade einfache Arbeiten verlagern die Firmen gern nach Polen und Tschechien“, weiß Michael Brohl von der Behindertenhilfe der Caritas Paderborn, deren Werkstätten „im letzten Jahr zeitweise keine Arbeit“ hatten. „Da wird es enger“, ergänzt Anke Marholdt von der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in Bad Oeynhausen, die ein großes Ringbuchunternehmen als Kunden verloren hat.

Nicht selten hört auch Marcus Toepffer, Werkstattleiter der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo, „Drohgebärden“ von Unternehmen, Aufträge nach Osteuropa oder nach Asien zu verlagern: „Das nimmt man ohnmächtig hin und versucht, die Kalkulation zu überprüfen und die Produktion weiter zu optimieren.“ Bedenklich sei, dass die Konkurrenz der Werkstätten nicht nur „normale Firmen“ im Osten seien. So erfuhr Toepffer, dass eine Behindertenwerkstatt in Tschechien ebenso für Deutschland produziert: „Dort werden Gartengeräte für einen namhaften Gartengerätehersteller montiert.“

Für Werkstätten hier gebe es nur die Alternative, „mit dem Preis runter zu gehen“, hört man unisono aus den Einrichtungen. Das geschehe soweit, „bis die Kosten gerade gedeckt sind“, sagt Marcus Toepffer. Dann bleibe nichts für Investitionen oder bessere Ausstattung der Arbeitsplätze übrig. Die öffentliche Förderung sei in den vergangenen Jahren „deutlich zurückgegangen“.

Die schwere Lage hat selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder überrascht, als er Ende 2003 an der Seite des Bethel-Vorsitzenden Pastor Friedrich Schophaus eine Behindertenwerkstatt besuchte. „Dort ist ihm auf einmal klar geworden, dass auch die Werkstätten für behinderte Menschen im Wettbewerb stehen“, so Schophaus. Und „dass wir keine Almosen bekommen, sondern Qualität abliefern müssen“. Der Bethel-Chef bat wegen der Konkurrenz aus Osteuropa oder Asien um eine Steuervergünstigung. Aber das lehnte Schröder ab. So bleibt den Werkstätten nur, sich wirtschaftlich zu behaupten, so lange es geht, und an die Moral zu appellieren. Schophaus ermahnt die Industrie: „Hier gibt es einen großen Bereich, der läuft Gefahr, in Schwierigkeiten zu kommen.“

Einen kleinen Hoffnungsschimmer haben die Einrichtungen jedoch, die nun immer mehr in Verbünden kooperieren wollen. Einige Aufträge kamen in den vergangenen Monaten wieder zurück, sagt Günter Bornmann von den Betheler Werkstätten. Man könne „eben schnell liefern“, weil man näher am Unternehmen dran sei. „Und die Qualität stimmt“.