Der Einzige & sein Umzugskarton

Das freiRÄUMEn-Festival der Schwankhalle sucht nach neuen Orten der Stadtbespielung: Produktionen von Two Fish (Berlin) und Theaterhaus Weimar begeben sich versuchsweise auf privates Terrain, erobern einen Billard-Salon und Wohnzimmer

„Warst du es nicht, der gesagt hat, es gibt nur vier Möglichkeiten?“ Er denkt einen Moment nach: „I‘m OK and You‘re OK – I‘m OK and You‘re not OK – I‘m not OK and You‘re OK – I‘m not OK and You‘re not OK . . .“ Er schweigt, doch der Rhythmus scheint nachzuklingen. Die anderen nicken, als wären soeben alle Weltenrätsel gelöst worden. Zu fünft sitzen sie auf einem unsagbar hässlichen Sofa, das sich schamhaft in die hinterste Ecke dieser Wohnung quetscht.

„Christiane Müller zieht um“, behauptet das Berliner Quintett Two Fish. Ob wir im Theater gerade die alte Wohnung sehen oder schon die neue, wissen wir nicht. Christiane Müller zieht oft um. Denn Two Fish, also das ChoreographInnenduo Angela Schubot/Martin Clausen, sind erfolgreich. Und die transportable Indoor-Performance ist ihr Top-Ten-Hit – und jetzt beim freiRÄUMEn-Festival des Jungen Theaters zu sehen.

„Wir lachen nicht über dich, sondern mit dir“, mag sich Two Fish gedacht haben. Eine leere Privatwohnung irgendwo in Bremen und fünf Schauspiel-Tänzer haben sich aneinander gewöhnt. Doch das wissen die Zuschauer nicht, vorher. Einer kriegt den Schlüssel in die Hand gedrückt, alle rauf die Treppe, vorbei an einer Fachpraxis für Lymphdrainagen, aufschließen und – warten.

Wenn sich das anfühlt wie eine Wohnungsbesichtigung oder eine Party, auf der man keinen kennt, stellt sich die passende Grundbefindlichkeit schnell ein. Erstmal gucken. Two Fish inszenieren Übergangssituationen, gehen das große Thema Flüchtigkeit präzise und kurzweilig an.

Irgendwann spielen drei Jungs Basketball. Im Wohnzimmer. Als Ball dient eine junge Tänzerin. Es entsteht ein unentschiedenes Bild, das Raum greift und den umstehenden Zuschauern auf die Pelle rückt. Two Fish verstehen die Kunst der Andeutung. Viele ihrer Bilder sind performte Fragezeichen.

Es dämmert einem, dass der private Raum alles andere als neutral ist. Zwangsläufig spinnen die Zusehenden die Erzählfäden weiter.

Zum Mit-Denken bleibt in der Billard-Galerie in der Neustadt weit weniger Zeit. Olaf Helbing und Janec Müller vom Theaterhaus Weimar arbeiten ebenfalls mit Erzählfragmenten. „Über Bande“ ist ein performtes Exposé, das erst noch raumgreifendes Stück werden will. Eine knappe halbe Stunde lang wird alles aufgetürmt, was zu einer guten Geschichte gehört.

Ein Mann in grauem Anzug steigt 1926 in Bremerhaven von Bord eines Schiffes, den Hut an den Kopf gepresst. Er kommt aus Amerika, wohin er nach einem Kampf mit Queue und Kugel vor gut zwanzig Jahren ausgewandert war. Er will eine Revanche.

Der seltsam gedrungene Ort spezialisierter Freizeitgestaltung scheint darauf zu warten, dass gespielt wird, Billard und Theater. Doch just in dem Moment, da die Noir-Szenerie etabliert ist, da die Phantasie auf den Plan treten müsste und die Geschichte in den Raum, ist alles vorüber.

Dabei hätten Müller und Helbing so schön ausprobieren können, wie sich die Spielregeln von Bühne und Pooltable aneinander reiben und spiegeln lassen. So bleibt „Über Bande“ ein Versprechen auf einen Theaterabend an einem Nicht-Theater-Ort, wie ihn Two Fish mit mehr Vorbereitungszeit so brillant geschaffen haben. Tim Schomacker

Christiane Müller zieht noch heute und morgen um, jeweils 20.30 Uhr. Der Ort ist zu erfragen unter: 0170/6748430