Arm, keine Ausbildung, keine Arbeit. Was tun gegen Ghettos?

„Berlin kann seinen jungen Bewohnern keine Zukunftsvision bieten“, sagt die OECD. Und versucht mit „Urban Renaissance“ eine Vision zu geben: bessere Bildung, mehr Mobilität

Ghettos inmitten der Stadt. Hier regiert die Kriminalität. Und das alles in der deutschen Hauptstadt. Keine positive Prognose, die die OECD in ihrer „Urban Renaissance Studie: Berlin“ verheißt. Drei Berliner Problembezirke hat die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis: „Der Stadt gelingt es bisher nicht, ihren jungen Bewohnern eine Zukunftsvision zu bieten.“

Eines ist den Quartieren gemeinsam: ein hoher Anteil an ausländischen Bewohnern. „Diese Innenstadtquartiere haben große Potenziale. Nicht trotz, sondern wegen der von Migration geprägten Bevölkerungsstruktur“, versucht der Beauftragte für Integration und Migration, Günter Piening, zu beschwichtigen. Doch dieses Potenzial bleibt bislang eher im Verborgenen. Über 40 Prozent beträgt inzwischen die Arbeitslosigkeit unter der ausländischen Wohnbevölkerung Berlins.

Für rund 70.000 Schüler in der Hauptstadt ist Deutsch nicht die Muttersprache, in einigen Klassen beträgt ihre Quote 80 Prozent. Entsprechend niedrig ist das Bildungsniveau, wie Vergleiche zwischen Schulen zeigen.

Zu wenige Kinder besuchen den Kindergarten, zu Hause wird der ausschließliche Gebrauch der Muttersprache noch durch den leichten Zugang zu Satelliten-Fernsehprogrammen verstärkt. Mangelnde Deutschkenntnisse vor allem der Mütter fördern diesen „geschlossenen Erziehungs- und Kulturkreislauf“. Nicht nur in Berlin.

„Auch in Hamburg gelingt es nicht, den Nachteil für Kinder mit Migrationshintergrund adäquat auszugleichen“, sagt Schulforscher Wilfried Bos. Er ist Leiter der vor wenigen Tagen präsentierten Kess-Studie, die den Bildungsstand von rund 14.000 Hamburger Schülerinnen und Schülern am Ende ihrer Grundschulzeit ermittelte. Doch hier habe sich gezeigt, das gute Leistungen nicht unbedingt in den traditionell bürgerlichen Vierteln zu finden sind. Auch 50 der 263 Schulen in so genannten Problemvierteln konnten gute Werte erzielen, während andere Schulen „erwartungswidrig schlecht“ abgeschnitten haben. „Hier haben Lehrer die Situation nicht als gottgegeben hingenommen und resigniert, sondern trotz aller Umstände tollen Unterricht gemacht“, sagt Bos.

Mit Programmen wie Plus (Projekt Lesen und Schreiben für alle) und Prima (Kinder der Primarstufe auf verschiedenen Wegen zur Mathematik) war Hamburg Vorreiter in der Förderung von leistungsschwachen Schülern. „Davon haben auch Migranten enorm profitiert“, so Bos. Doch trotz aller Bemühungen: Jedes fünfte Zuwandererkind verlässt in der Hansestadt die Schule ohne Abschluss.

Viele landen anschließend in Berufsvorbereitungskursen, wie sie Michael Schopf, Leiter des Bereichs Berufliche Bildung beim Hamburger Senat, betreut. „Bei den Teilzeitmaßnahmen, in denen wir mit Betrieben zusammenarbeiten, erreichen wir anschließend eine Vermittlungsquote von 50 Prozent.“ Im günstigsten Fall. Bei Schülern mit fehlenden Sprachkenntnissen werden mitunter nur 20 Prozent vermittelt. Der Rest steht anschließend auf der Straße. Und der Teufelskreis beginnt von vorn. Familien, die es dennoch schaffen aus dieser Fatalität auszubrechen, verlassen die Kieze, um ihren Kinder woanders eine bessere Zukunft zu bieten. Zurück bleiben die Problemfälle, weitere, meist mit noch größeren Problemen belastete Bewohner, rücken nach. Und das Szenario vom Anfang ist nicht mehr weit von der Realität entfernt.

Die Berliner Studie zeigt auch, dass Jugendliche in Wohngegenden mit hohem Migrantenanteil sehr wohl in der Lage sind, ihre Zukunft zu diskutieren und sich gegebenenfalls auch auf sie zugeschnittene Beratungsangebote herauszusuchen. Doch vielen fehlen die grundlegenden Kenntnisse im Umgang mit dem Internet. Zum Zeitpunkt der Studienerhebung verfügte in Berlin nicht einmal jede zweite Schule über einen Internetzugang, unter den Hauptschulen waren es katastrophal schlechte 16,2 Prozent. Besonders tragisch für Kinder aus Problemfamilien, verfügen sie doch im Regelfall auch zu Hause über keinen Zugang zum Netz. Zur Lösung des Problems schlägt die OECD vor, künftig die Kooperation von Unternehmen und Schulen zu stärken, damit die Schüler von alten Firmen-PCs profitieren könnten.

Und die Experten haben noch einen ganz einfachen Vorschlag, wie sie die Situation von Jugendlichen in den Kiezen verbessern würden: Die Kinder, die ihre Wohngebiete nur selten verlassen, hinausschicken, zum Austausch mit Gleichaltrigen aus anderen Stadtteilen. Damit sie sehen, dass es ein besseres Leben gibt. KARIN LOSERT