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■ Wirtschaftsvertreter oder Bundespräsident?Kein bloßer Situationsbericht

betr.: „Köhler spricht. Hoheitliches Geschwätz“, Kommentar von Bettina Gaus, taz vom 13. 9. 04

Wie sagte er noch, der Herr Bundespräsident: „Ich liebe mein Land und bin auch stolz darauf.“ Na prima, wen und was hat er denn jetzt damit gemeint? Den Süden, den Norden, den Westen? Oder meint er sogar den Osten, ohne dass wir das alle, vor allen Dingen unsere lieben Brüder und Schwestern im Osten, merken wollen, möchten, können? KLAUS ZINNER, Bochum

Die Äußerungen Köhlers sind in seiner Funktion sicherlich eine Dummheit und hinderlich. Inhaltlich hingegen ist er der Wahrheit allerdings näher als so mancher Sozialromantiker der den Menschen angesichts leerer Kassen immer noch verspricht, der demografisch notwendige Umbau unserer Gesellschaft würde ohne Schmerzen vonstatten gehen.

Wer wissen will, wie es in Europa in 20 Jahren aussehen wird, der blicke in die USA. Dort arbeiten die Menschen in hohem Alter noch, und räumliche Flexibilität, um einen Arbeitsplatz zu bekommen, ist selbstverständlich. Die hierzulande geführten Diskussionen würden dort als Luxus betrachtet. Sicherlich sind so extreme soziale Verhältnisse wie dort nicht wünschenswert, etwas Realitätssinn angesichts der Fakten täte hier allerdings gut. KLAUS SAMER, Wuppertal

Ich kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Unser Bundespräsident hat nur das gesagt, was in seinem Kopf vorging. Die Gedanken sind schließlich frei (von Intelligenz?!). Er stellte schon vor der Wahl seine Kerze nicht unter einen Scheffel. Jeder konnte wissen, wer da gewählt wurde und jeder der Wahlmänner und -frauen kann sich jetzt ärgern, blind seine Pflicht erfüllt zu haben. Eine bessere Alternative hat es allemal gegeben. Doch jedes Volk bekommt das Oberhaupt, das es verdient. […] GÜNTER HEELEIN, Gevelsberg

Nachdem Herr Köhler bereits vor der Bundespräsidentenwahl ins Fettnäpfchen trat, indem er offen bekundete, sich eine Kanzlerin Merkel sehr gut für dieses Land vorstellen zu können, hat er neuerlich einen hervorragenden Instinkt bewiesen, diese Gesellschaft zu spalten: Denn wer behauptet, dass gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland nicht realisierbar sind, und damit indirekt den verfassungsmäßigen Grundsätzen unseres Grundgesetzes widerspricht, hat das Recht auf die Bekleidung des höchsten Amtes in unserem Staate verwirkt! THOMAS HENSCHKE, Berlin

Wenn der Bundespräsident ausführt, dass nie, egal ob in unserem Land oder in welch einer Region auch immer, gleiche Lebensbedingungen herrschen werden, so ist das eine Binsenweisheit. Wenn sich der Kanzler oder der Wirtschaftsminister so eingelassen hätten, wäre das auch nicht zu beanstanden. Ein Bundespräsident jedoch, hat nicht nur überparteilich für das ganze Volk, vorrangig für die Schwächeren, da zu sein und zu sprechen, er hat vor allen Dingen nicht trennend, sondern verbindend und versöhnlich zu wirken; ganz besonders in diesen Zeiten. Er hätte nicht das, was leider so ist und auch bleiben wird, überbetonen und sozusagen als unveränderlich festschreiben dürfen, sondern den umgekehrten Weg gehen müssen. […] JUTTA RYDZEWSKIK, Bochum

Nach der Kritik vieler aus dem Osten widersprechen nun auch westdeutsche Politiker und Journalisten der Bemerkung von Bundespräsident Köhler zur Angleichung der Lebensverhältnisse. An der Denke der meisten Menschen geht das zwar völlig vorbei, und man ist über die Menschenferne einiger Meinungsmacher doch erstaunt, befriedigt aber offenbar den linksintellektuellen Geist. Schublade auf – Köhler rein – basta!

Wenn da nur nicht so störende Meinungsäußerungen politisch interessierter Menschen wären, wie eine heute veröffentlichte n-tv Umfrage beweist: Auf die Frage „Hat Bundespräsident Köhler mit seinen Äußerungen über die ungleichen Lebensverhältnisse in Deutschland Recht?“ haben nämlich die n-tv.de Nutzer folgendermaßen geantwortet: Ja = 87 Prozent; Nein = 13 Prozent; abgegebene Stimmen: 1.112 (Stand: 13. 9. 04, 14 Uhr) […] LOTHAR G. KOPP, Berlin

Herr Köhler hat nichts anderes geäußert, als dass es Unterschiede in Deutschland gibt und weiter geben wird. Die Aussage war mitnichten auf den Osten begrenzt, sondern bezog sich auf ganz Deutschland. Und selbstredend sind die Lebensverhältnisse in Bayern anders als in Spiekeroog. Jede Region hat ihre Vor- und Nachteile, und wenn einige Gegenden prosperierender sind als andere, entspricht dies dem Wettbewerb des Föderalismus. Aber vielleicht möchte Frau Gaus den ja auch abschaffen? […] WOLF V. RÜDT, Bonn

Wer die Tragweite dieser (Miss-)Wahl nicht gleich erkannt hatte, dürfte jetzt ruck-’n’-roll-artig eines Besseren belehrt worden sein. Oder messen wir dem Amt des Bundespräsidenten zu viel Bedeutung zu? Ich meine nicht. Die einzige angemessene Reaktion kann daher nur sein: Aufmunterung zur Amtsniederlegung in Eigenanerkennung von Fehlqualifikation. Klares Urteil: Probehalbjahr nicht bestanden. Vertragsauflösung in beiderseitigem Einvernehmen – ohne Umweg beim Arbeitsamt melden und woanders bewerben, Herr Köhler. […] KOLIA GRUBER, Berlin

betr.: „Hat Horst Köhler Recht?“, taz vom 14. 9. 04

Nein, Horst Köhler hat nicht Recht. Als Zustandsbeschreibung waren seine Worte nicht gedacht. Er will mit seinen Äußerungen etwas „andeuten“! Er meint seinen politischen Weitblick zum Besten geben zu müssen und vergisst, dass er nicht mehr der Wirtschaftsvertreter ist, sondern Bundespräsident. Seine Worte sind so zu verstehen, dass er „sein Volk“ darauf vorbereiten möchte, dass es sich mit „Spaltungen“ und Unausgeglichenheiten in Zukunft abfinden muss. Solche Worte aus dem Mund eines dem Grundgesetz dieses Staates verpflichteten Mannes sind gefährlicher Sprengstoff und sollten nicht als bloßer Situationsbericht abgetan werden.

LOTHAR SCHWARZ, Herbolzheim

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