Explosives lauert unter Verschiedenes

Auf dem Parteitag der Grünen in Kiel könnten Grundsicherung und Vermögensteuer zu Streitthemen werden

BERLIN taz ■ Meist ist der Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ nicht so spannend auf Parteitagen. Das dürfte bei den Grünen anders sein, wenn sie sich Anfang Oktober in Kiel treffen. Denn ausgerechnet beim Vermischten finden sich explosive Anträge.

So fordert der linke Kreisverband Münster, „die Grüne Grundsicherung jetzt auf die Tagesordnung der politischen Diskussion zu setzen“. Und damit gar nicht erst Missverständnisse aufkommen, was „jetzt“ meint, beantragt man dezidiert „noch in dieser Legislaturperiode“ einen „Gesetzesvorschlag“.

Etwa 700 bis 800 Euro soll ein bedürftiger Haushaltsvorstand bekommen, erläutert Wilhelm Achelpöhler aus Münster. Denn schließlich sei das Arbeitslosengeld II von maximal 345 Euro „nicht armutsfest“, das die Hartz-IV-Reformen ab Januar vorsehen. Die Münsteraner wollen sich stattdessen an den OECD-Kriterien orientieren: Danach gilt jeder als arm, der weniger als die Hälfte des Durchschnittsverdienstes ausgeben kann. In Deutschland liegt das Durchschnittseinkommen inzwischen bei knapp 30.000 Euro.

Der grünen Parteispitze geht der Münsteraner Antrag zu weit; man will zunächst Hartz IV „überprüfen“. Außerdem, so der Bundesvorstand in seinem Antrag, sei „eine Strategie“ zu erarbeiten, wie sich das Arbeitslosengeld II zur Grundsicherung weiterentwickeln lasse – und zwar „rechtzeitig vor der Formulierung des Bundestagswahlprogramms“. Das ist Achelpöhler zu wenig: „Im letzten und im vorletzten Wahlprogramm stand die Grundsicherung auch drin.“

Das Thema Vermögensteuer dürfte ebenfalls für Kontroversen in Kiel sorgen. Auf dem letzten Parteitag in Dresden hatten die Grünen beschlossen, die Vermögensteuer wieder einzuführen, allerdings in einer abgemilderten Variante: Sie sollte auf die Einkommen- und Ertragsteuern angerechnet werden, kleine und mittlere Betriebe seien zu schonen. Diese Einschränkungen würden zu bizarren Konsequenzen führen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion ermittelte: Es würden vor allem vermögende Rentner belastet.

Nun hat der Bundesvorstand reagiert: „Es wäre falsch, deswegen die Frage nach der Besteuerung großer Vermögen aufzugeben“, heißt es im Antrag. Allerdings räumt Geschäftsführerin Steffi Lemke ein, dass Beschlüsse in Kiel nicht zu erwarten seien: „Es gibt noch keine konkreten Konzepte.“ Eine Arbeitsgruppe, schon in Dresden eingesetzt, sei noch damit beschäftigt, das DIW-Gutachten zu bewerten. Daher, so Lemke, ist mit einer „Willensbekundung“ zu rechnen, große Vermögen stärker zu besteuern. Die Münsteraner sind da entschiedener: Sie werben bereits auf Veranstaltungen für die Vermögensteuer. ULRIKE HERRMANN

meinung und diskussion SEITE 11