ORTSTERMIN: WO BÜRGER SICH GEGEN EIN BORDELL VERSAMMELN
: Wandsbek abwehrbereit

Der Raum im Bürgerhaus ist prall gefüllt. Eine halbe Hundertschaft wütender Rentner – so stellt man sich die Hölle für Cornelia Schroeder-Piller (CDU) vor. Denn das von ihr geführte Bezirksamt von Hamburg-Wandsbek erteilte den Vorbescheid und schließlich auch die Baugenehmigung für ein Bordell ganz in der Nähe, in der Angerburger Straße. Als die Bevölkerung davon erfuhr, waren die Pläne schon lange durchgewunken.

Eine seltsame Stimmung herrscht hier an diesem Dienstagabend: eine Mischung aus Empörung, Aktionismus und Furcht. Ein Sachkundiger des zuständigen Dezernats für Wirtschaft, Bauen und Umwelt zog es vor, den aufgebrachten Bürgern lieber nicht zu begegnen: Der Dezernatsleiter verwies auf die Kollegen vom Landeskriminalamt. Natürlich, die Polizei ist wenigstens darauf geschult, in widrigen Situationen ihren Mann zu stehen.

Was dem einen Hölle, ist dem andern Paradies. „Die Verschleierungstaktiken der Bezirksamtsleitung“, ruft der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Jan Balcke in den Saal, „sind schlichtweg skandalös“. Er hat eine SPD-Flagge hinter sich an der Wand hängen und gefällt sich, so scheint es, in der Rolle des helfenden Genossen. „Ein Bordell ist eine Vergnügungsstätte“, fährt Balcke fort, „und die ist im Bebauungsplan nicht vorgesehen! Wir haben genug Rotlicht in Wandsbek! Wir werden gegen die Umzugspläne gemeinsam kämpfen!“ Jede seiner Aussagen erntet zustimmendes Brummen aus dem betagten Publikum.

Auch die Bordell-Anwohner wider Willen sind in Rage: „Wandsbek wehrt sich“ heißt eine eigens gegründete Bürgerinitiative, die binnen einiger Wochen 2.500 Unterschriften gegen den Bordellbetrieb gesammelt hat. Aufgeregt berichtet Ilse Drews, die Initiatorin der Bürgerbewegung, wo sie alles Bordelle im Bezirk ausgemacht hat; sie hat sogar investigativ ermittelt, in welchem Haus die Prostituierten vom Straßenstrich letztendlich verschwinden. Jetzt werden die Zuhörer im Bürgerhaussaal aktiv: Bereitwillig steuern sie ihre Beobachtungen bei – und es zeigt sich die viel bemühte Beobachtungsgabe alter Menschen: Insgesamt kommen die Anwesenden auf stolze 18 Bordelle im Bezirk Wandsbek. Angemeldet und genehmigt sind gerade mal sechs.

„Wir sind eine gute Crew und wir werden immer wütender“, schwört Drews die Gemeinschaft ein. „Kein zweites St. Pauli!“, ruft einer. „Wir müssen eine Demo machen!“, tönt es von hinten aus der Ecke. Eine Frau aus der ersten Reihe regt eine Sammelklage an und fragt in die Zuhörerschaft: „Wer ist dabei? Gemeinsam ist das nicht teuer.“ Fast alle, die sich hier versammelt haben, heben eifrig die Hand. Angst hat man hier und heute vor allem um den möglicherweise fallenden Wert der Immobilien: Die sichern, sagt Drews, „vielen von uns den Lebensabend“.

Aber auch die Furcht vor herumliegenden Kondomen ist eine Diskussion wert: Ein Mann mit grauem Seitenscheitel findet „die Debatte ist etwas überhitzt: Ein gut geführtes Bordell kann auch im Wohngebiet unauffällig existieren.“ Er erntet Schweigen, die vor ihm Sitzenden drehen sich um, der neben ihm fährt ihn schließlich an: „Sie reden, als wenn das normal ist!“ – „Na das ist ja auch normal“, sagt der Angegriffene. „Wir wussten es nur nicht.“JOSEPH VARSCHEN