Aus der Fassung

Das Beijinger „Living Dance Studio“ verbreitet mit seinem Stück „Report on Body“ in der Hamburger Kampnagel-Fabrik leider nur wenig mehr als Langeweile

Reicht es, sich als autonome, experimentelle Performancegruppe zu bezeichnen und aus China zu kommen, um beim Hamburger Kampnagel Publikum gut anzukommen? Die Antwort lautet klar und deutlich: Nein. Und zwar dann, wenn der Betrachter ernsthaft den künstlerischen Gehalt der Performance Report on Body beurteilt und nicht auf der Ebene der Political Correctness stehen bleiben möchte.

Das Beijinger „Living Dance Studio“ will viel mit seinem Stück gerne kritisch zeigen, wie eine junge Frau sich durch die chinesische Metropole schlägt, verfolgt und gepeinigt von Männern, die nur Sex und Unterdrückung wollen. Regisseurin Wen Hui wünschte sich im Vorwege gar, „die Zuschauer aus der Fassung zu bringen“. Das hat die Gruppe geschafft, wenn auch nicht durch bewegende Momente sondern durch geballte Langeweile gepaart mit Körperverbiegungen aller Art, vom Robben übers Laufen bis zum Seilchenspringen.

Der Sinn des Ganzen scheint eher eine Art Kleiderrecycling denn eine kritische Annäherung an die Lebenssituation der kleinen Wanderarbeiterin aus Sichuan. Denn fortwährend bewerfen sich sechs Frauen und zwei Männer auf der Bühne mit Blusen, Jacken, Hosen, kurz, mit allem, was der Kleidersack hergibt. Als wolle er einen roten Faden markieren,hängt während des gesamten Programms ein Plastikgoldfisch an einer Angelroute von der Decke, zusammen mit einem immerwährend klingelnden Glöckchen. Er könnte Metapher für vieles sein: chinesische Tradition, Verlangen – der Zuschauerfantasie setzt die Performance keine Grenzen, regt sie andererseits auch in keine konkrete Richtung an. Als allgegenwärtiges Requisit kann der Plastikfisch an der Angel schlicht als formale Strukturierung eines ansonsten vor sich hinwabernden akrobatischen Treibens dienen. So reiht sich Schritt an Schritt, Körper an Körper. Das bleibt bar jeder Spannung und allenfalls sportlich angestrengt.

Mittänzer und Ensemble-Mitbegründer Wu Wenguang verehrt Pina Bausch. Das muss man wissen, um die Szene mit der Stuhlreihe zu interpretieren. Da sitzen die Frauen nebeneinander, halten ihre Füße in rote Plastikschüsseln. Das hat er der Frau Bausch abgeguckt, sonst nichts. Schade. Zwar hat die Crew des „Living Dance Studios“ in Ansätzen – wie das Wuppertaler Ensemble auch – mit den eigenen Erfahrungen zu experimentieren versucht, doch ihre Besuche in Beijinger Karaoke Bars, Badeanstalten und Friseursalons haben ihrer Aufführung nichts gebracht. Ihr Traum vom menschlichen Körper, der mehr ist als sein Material, wird jedenfalls in dieser Aufführung nicht wahr.

Zum Glück gab es vorher leckere Frühlingsröllchen, anlässlich der Eröffnung der Fotoausstellung, die Kampnagel ebenfalls im Rahmen der China-Reihe „Public Space and Personal Eye“ zeigt. Mit Bildern wie beispielsweise den Fotos von Can Xin, dem Lecker. Seine Serie zeigt ihn immer in derselben Stellung, bäuchlings hingestreckt, den Asphalt vorsichtig mit der Zunge berührend. Im Hintergrund, über seinem Kopf lächelt mal Mao weise und patriotisch, mal lauert der Himmelstempel.

Bleibt zu hoffen, dass das zweite Stück des „Living Dance Studios“, mit dem Titel Report on Giving Birth von ähnlicher Intensität lebt. Zumindest verspricht es einen authentischen Blick auf die Themen Sexualität, Partnerschaft und Kinderwunsch in Beijing. Katrin Jäger

weitere Termine: Report on Body: 10., 15.–18.10., 20 Uhr; Report on Giving Birth: 22.–25., 29., 30.10., 20 Uhr, Kampnagelfabrik, Hamburg