200.000 Platten – kein Kratzer

Im Grindelviertel kann man ganz gut Schallplatten kaufen. Vor allem Vinyl-Freunde finden hier ein fantastisches Angebot vor, solange sie mit Ware aus zweiter Hand zufrieden sind. Eher selten findet man dagegen aktuelle Produktionen

von EBERHARD SPOHD

Hamburg ist das Mekka der Plattenkäufer. Heißt es immer. Nirgendwo sei die Dichte der Läden so hoch wie im Schanzenviertel. Hier gebe es alles zu erwerben, was aktuell auf Tonträger gepresst werde, und das meiste, was früher auf Vinyl oder CD veröffentlicht worden sei. Heißt es zwar, stimmt aber nicht. Wer einmal rund ums Schulterblatt versucht hat, Beethovens Missa Solemnis aufzutreiben, weiß: Klassische Musik gehört nicht ins Schanzenumfeld. Stattdessen viele unterschiedliche Läden mit ziemlich ähnlichen Angeboten. Aber vielleicht sieht es im Grindelviertel, anders aus? Etwas Besseres als den Tod oder zumindest Phil Collins finden wir überall.

Zum Beispiel in der Grindelallee. Den DVD-Laden, der nebenbei noch ranzige Sampler verscherbelt, lassen wir links liegen. Was wollen wir schon mit der CD „Die 20 größten Fußball-Hits“ anfangen, von der wir nicht einen einzigen aus dem Stadion kennen? Sehr suspekt ist auch das Angebot der „Wohlthat‘schen Buchhandlung“. Der Krämerladen, bekannt für seine umfangreiche Auswahl erotischer Bildbände zu günstigen Preisen – immer getreu dem Motto: „Ich würde mich schon nackt fotografieren lassen, solange es ästhetisch ist“ – bleibt auch in seinem Musikangebot billig. Schwache Aufnahmen klassischer und Jazz-Musik. Nichts für Spezialisten.

Dann doch lieber zu „Zweitausendeins“. Der Lieblingsshop linksalternativer Verschwörungstheoretiker ist die erste Wahl unter den Ramschläden dieser Straße. Die Frankfurter kaufen en gros Restposten auf und sind so in der Lage, CDs (und wenige Platten) günstig unters Volk zu bringen. Da ist dann mal – wie zurzeit – nahezu das komplette Werk Frank Zappas im Angebot oder auch rare Gesamtaufnahmen barocker Opern. Hier lohnt es sich immer wieder, einen Blick hineinzuwerfen.

Deutlich moderner kommt schräg gegenüber „Texte+Töne“ daher. Ein Mittelding zwischen Buch- und Plattenhandlung mit einer ordentlichen Auswahl an Neuware, gerne auch aus der elektromusikalischen Richtung, und Zweiter-Hand-Scheiben, oft aus Vinyl. Second Hand ist man auch auf der anderen Straßenseite in „Ingo‘s Plattenkiste“ dabei . Hierher kommen auch die Menschen, die ihre Sammlung ganz schnell wieder auflösen wollen. Daher findet man dort manchmal Rezensionsexemplare von Schallplatten einige Wochen vor deren Veröffentlichungstermin. Der Musikindustrie ist das natürlich ein Dorn im Auge, aber den Käufer freut es, wenn ihm ein solches Schnäppchen gelingt.

Niemals aber wird er das in der „Plattenrille“ im Grindelhof schaffen. Denn die Platten, die hier liegen, sind zwar auch aus zweiter Hand, dafür aber sehr alt. Wer Vinyl schätzt, der kommt an diesem Laden nicht vorbei. Die rund 10.000 CDs, die hier feilgeboten werden, interessieren eigentlich niemanden. Den Kunden zu ehrfürchtigem Schweigen bringen die Wände, Regale und Kisten voller Vinyl. Weit über 200.000 Schallplatten warten hier auf den Kunden. Jede einzelne wurde von den Besitzern genau untersucht, bevor sie aufgenommen wurden, zerkratzte erhalten hier keinen Eintritt. Das Angebot reicht von modernerer Musik – sagen wir bis 1990 – über Jazz und alten Schlager und Chansons bis hin zu Klassik. Hier liegen die Klassiker: Blue-Note-Pressungen aus den 60ern, Originalaufnahmen von Jacques Brel und die Missa Solemnis – in mindestens acht verschiedenen Versionen.