Der Tritt in den Hintern

Langzeitgebühren werden bis zu 12.000 Studierende vertreiben. Mit Folgen für alle. Denn wer eingeschrieben ist, aber nicht zur Uni geht, nützt auch den Kommilitonen. Wichtige Detailfragen sind noch immer offen

von SANDRA WILSDORF

Wenn ab dem Sommersemester 2004 in Hamburg so genannte Langzeitstudierende mit 500 Euro pro Semester zur Kasse gebeten werden, dann wird das nicht nur für diese Folgen haben. Die Wissenschaftsbehörde geht davon aus, dass etwa 20 Prozent der Studenten Langzeitstudierende im Sinne des Hamburger Hochschulgesetz (HambHG) sind. Als solcher gilt demnächst, wer vier Semester über der Regelstudienzeit liegt. Etwa 12.000 Studierenden steht das Einschneidende bevor.

Glücklich, wer die 500 Euro ohne große Schmerzen auf den Tisch legen kann. Glücklich auch, wer die neuen Gebühren als Tritt in den Hintern empfindet, nun zu tun, was vielleicht seit Jahren Vorsatz ist: das Studium endlich zum Abschluss zu bringen. Und mancher, der nur noch aus nostalgischen Gründen eingeschrieben ist, wird sich leicht von seinem Dasein als Karteileiche verabschieden. Die meisten der Betroffenen jedoch werden mehr oder weniger kurz vor ihrem Studienende kalt erwischt.

Plötzlich soll sie teuer zu stehen kommen, dass sie sich ihr Studium selbst finanziert, auch mal in andere Studiengänge hineingeschnuppert, praktische Erfahrungen im Ausland oder bei Langzeitpraktika gesammelt haben. Ein jahrelang funktionierendes Modell soll nun Strafe kosten. Das Studentenwerk schätzt nach Erfahrungen aus anderen Bundesländern, dass sich 10 bis 15 Prozent der Studierenden exmatrikulieren werden.

Eine immense Zahl mit Folgen für alle. Denn Mensen, Wohnheime und alle anderen Dienstleistungen für Studierende werden auch von denen bezahlt, die sie gar nicht oder nur höchst selten nutzen. Das Studentenwerk sah sich wegen der zu erwartenden Massenflucht genötigt, die Semesterbeiträge zum Wintersemester 2004/2005 um zehn auf 35,50 Euro zu erhöhen. Dass der Senat die Zuschüsse an das Studentenwerk darüber hinaus bis 2006 um 50 Prozent kürzen will, war zum Zeitpunkt dieser Entscheidung noch gar nicht bekannt. Das verschärft die Lage weiter: „Höhere Essenspreise und eine weitere Erhöhung der Semesterbeiträge werden sich leider kaum vermeiden lassen“, sagt Sprecherin Dagmar Höfer.

Sie hält den Weg des Senats ohnehin für den falschen. „Bevor durch Gebühren Langzeitstudierende bestraft werden, sollten erst einmal die Rahmenbedingungen verbessert werden, die es den Studierenden ermöglichen, ihr Studium zügig zum Abschluss zu bringen“, sagt sie und meint damit auch die Finanzierung desselben. Derzeit sei nämlich der eigene Verdienst die Haupteinnahmequelle der Studierenden, was zwangsläufig zum längeren Studium führe.

Noch ist unklar, wem überhaupt Gebühren drohen. Denn das HambHG legt grobe Linien, aber nur wenig Details fest. AStA-Hochschulreferent Christian Schomann berichtet von vielen Anfragen: „Es herrscht große Verunsicherung.“ Der AStA plant extra eine Veranstaltung und eine Broschüre zum Thema.

Bei der Studienberatung ist die Zahl der Anfragen zu diesem Thema noch eher gering. „Das wird erst losgehen, wenn die Satzungen der Hochschulen vorliegen“, erklärt ein Mitarbeiter. Erst dann kann jeder sehen, ob er zu einer Ausnahme gehört. In diesen Satzungen legen die Hochschulen zum Beispiel fest, wie sie mit Teilzeit- oder Zweitstudien umgehen, inwieweit die Semester anderer Hochschulen zählen und ob sie gleich alle exmatrikulieren, die die doppelte Regelstudienzeit hinter sich haben (siehe Seite 8). Klar ist nur der politische Wille, „das Studienguthaben soll den Anreiz geben, möglichst zügig zu studieren“, sagt Sabine Neumann, Sprecherin der Wissenschaftsbehörde.

Das Problem ist nur: Viele überrascht dieser neue Wille zu einem Zeitpunkt, an dem sie sich nicht mehr auf ihn einstellen können. Denn ein Bestandsschutz existiert quasi nicht: Nur, wer im Sommersemester 2003 weniger als vier Semester über der Regelstudienzeit lag, muss erst im Jahr 2005 zahlen – alle anderen im nächsten Sommer. Sabine Neumann gibt zu bedenken, dass schließlich seit der Vorlage des ersten Gesetzentwurfs im April 2002 „klar war, dass Gebühren kommen“. Diese Regelung wird jede Menge Härtefälle produzieren. Uni-Präsident Jürgen Lüthje stellt für diese Studierenden einen Fonds in Aussicht.

An den Gebühren hängt letztlich auch das Schicksal ganzer Studiengänge. Zählen Aufbaustudiengänge extra? Oder kann sie nur noch kostenlos belegen, wer besonders schnell war? „Deutsch als Zweitsprache“ ist so ein Fall. Von der Bildungsbehörde besonders befürwortet, weil hilfreich für die Erziehung von Migrantenkindern, lässt es sich erst nach dem ersten Staatsexamen studieren. Künftig also kostenpflichtig? Auch eine der vielen Fragen, die die Hochschulen klären müssen. Das Warten auf Details dauert an.

AStA-Infoabend: Mittwoch, 5. November, 18.30 Uhr , Philturm, Hörsaal B