Elefantenrunde im Porzellanladen

Neuer Anlauf zur Wiederbelebung der Allparteienregierung von Nordirland startet heute in einem englischen Schloss. Wenn die IRA abrüstet, gibt es auch die Regierung. Aber die IRA rüstet erst ab, wenn es die Regierung gibt

DUBLIN taz ■ Tony Blair ist mit seiner Geduld am Ende. Falls bei den neuen Verhandlungen über Nordirland wieder nichts herauskomme, müsse die Krisenprovinz eben bis auf Weiteres direkt aus London regiert werden, sagte der britische Premierminister. An den dreitägigen Verhandlungen, die heute im südostenglischen Schloss Leeds beginnen, nehmen neben Blair und seinem irischen Amtskollegen Bertie Ahern die meisten nordirischen Parteien teil.

Nordirlands Parlament und die als Ergebnis des nordirischen Friedensvertrages von 1998 eingesetzte Mehrparteienregierung in Belfast waren 2002 aufgelöst worden, weil die protestantischen Unionisten, die die Union mit Großbritannien beibehalten wollen, dem Waffenstillstand der katholischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) nicht mehr vertrauten. Grund war, dass die IRA ihre Waffenlager nicht unter für die Gegenseite annehmbaren Bedingungen abrüsten wollte und daher die Unionisten nicht glaubten, dass eine wirkliche Entwaffnung der IRA stattgefunden hatte. Der letzte Versuch, die nordirischen Institutionen wieder in Gang zu setzen, scheiterte letztes Jahr erneut an dieser Frage.

Der kanadische General John de Chastelain, der die Internationale Abrüstungskommission in Nordirland leitet, ist dennoch optimistisch. Er sagte, er sei überzeugt, dass die IRA diesmal „glaubwürdigere Schritte der Abrüstung unternehmen“ werde, falls es zu einer politischen Einigung kommt.

Dabei ist die Situation heute schwieriger als bei der letzten Verhandlungsrunde. Inzwischen haben nämlich Wahlen stattgefunden. Dadurch haben sich die Machtverhältnisse sowohl auf protestantischer als auch auf katholischer Seite verschoben: Trimbles Unionistenpartei UUP (Ulster Unionist Party) und die katholischen Sozialdemokraten, die beiden Träger des Friedensprozesses, haben stark an Bedeutung verloren. Davon profitierten Sinn Féin („Wir selbst“), der politische Flügel der IRA, und die Democratic Unionist Party (DUP) des streitbaren protestantischen Pfarrers Ian Paisley. Sie sind beide viel kompromissloser.

Die DUP war im Wahlkampf mit dem Ziel angetreten, das verhasste Belfaster Friedensabkommen von Karfreitag 1998 zu Fall zu bringen. Paisley hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass ihm selbst die vollständige Entwaffnung der IRA nicht ausreichen würde: Er will auf absehbare Zeit keine gemeinsame Regierung mit Sinn Féin mehr eingehen. Er werde bei den Verhandlungen keinesfalls direkt mit Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sprechen, kündigte der 78-jährige Paisley an.

Allerdings ist auch Paisley daran interessiert, die nordirische Regionalregierung wieder handlungsfähig zu machen, weil er sich davon mehr Einfluss auf nordirische Angelegenheiten verspricht, als er durch seinen Unterhaussitz in London hat. Paisleys Stellvertreter Peter Robinson schlägt denn auch mildere Töne an und verlangt massive Investitionen in die nordirische Infrastruktur. Zuvor müsse die IRA aber für alle sichtbar abrüsten, sagte er und fügte hinzu: „Wenn sie dafür Steven Spielberg holen und einen Film drehen, soll mir das recht sein.“

Für Sinn Féin gibt es keine Alternative zum Regionalparlament. Die Parteiführung predigt ihrer skeptischen Basis seit zehn Jahren die Regierungsbeteiligung sowohl in Nordirland als auch in Irland. Jetzt hat Adams nur noch einen Trumpf in der Hand: Vorigen Monat deutete er an, er könne sich vorstellen, dass die IRA ihre Waffen abgibt und sich auflöst. Allerdings müsste zuvor die nordirische Regierung wieder eingesetzt werden. Für diese Quadratur des Kreises haben die Verhandlungspartner nun bis Samstagabend Zeit.

RALF SOTSCHECK