„Wer ist dieser Bonnie Prince Billy?“

Der menschenscheue Will Oldham über die Vorteile eines Alter Ego, über die Plackerei des Musikmachens und die Gesetze des Marktes, die es zu ignorieren gilt

WILL OLDHAM, 38, geboren, aufgewachsen und immer noch wohnhaft in Louisville, Kentucky, hat hunderte von Songs geschrieben. Sie kreisen vornehmlich um so spaßige Themen wie Tod und Einsamkeit, zerbrochene Beziehungen und sexuelles Versagen. Diese Moritaten veröffentlichte Oldham früher als Palace Brothers oder Palace Music, mittlerweile unter dem Pseudonym Bonnie Prince Billy. Mit bisweilen rüdem Humor und der gebrochenen Stimme eines gefallenen Engels hat er sich, so der New Yorker, zu „einem der gefeiertsten Singer-Songwriter des Landes“ entwickelt, eine Kategorie, die ihm gar nicht zusagt: „Von einem Singer-Songwriter wird gewöhnlich erwartet, das Private öffentlich zu machen. Da kann ich mir aber Prickelnderes vorstellen.“ Sein neues Album „Beware“ (Domino/Rough Trade) ist gewohnt wundervoll und gemächlich geraten: Mit melancholischer Grundstimmung durchmisst Oldham wieder einmal, während die Pedalsteelgitarre jammert und die Fiedel fleht, jene Schnittstelle aus Folk und Country, die mithin unter „Americana“ subsumiert wird. Auch das allerdings ist ein Begriff, den der Sänger verabscheut, und tatsächlich hat er sich längst darüber erhoben. Auf „Beware“ transzendiert er mithilfe erfahrener Folk- und Countrymusiker die Klischees der Rootsmusik. Sein Blick auf die uramerikanischen Konventionen ist nicht sentimental, sondern von leisem Spott geprägt. Das stets niedergeschlagene Personal seiner Songs, ein selbstmitleidiges Ich eingeschlossen, gibt Oldham beim genüsslichen Sezieren menschlicher Misserfolge gern der Lächerlichkeit preis. TO

INTERVIEW ANSELM WORTHIK

taz: Herr Oldham, wer ist Bonnie Prince Billy?

Will Oldham: Ich habe keine Ahnung.

Immerhin sind Sie sein Erfinder.

Ich habe Bonnie Prince Billy erschaffen, damit niemand den Sänger verwechselt mit diesem Typen, der auf meinem Passbild zu sehen ist. Aus irgendeinem Grund scheinen die Leute das unausrottbare Bedürfnis zu haben, sich zu einer Stimme, die sie auf einer Platte hören, auch eine Figur vorstellen zu können. Wenn das so sein muss, dann will ich wenigstens, dass nicht Will Oldham diese Funktion übernehmen muss. Aber was genau die Leute auf die Figur Bonnie Prince Billy projizieren, das weiß ich nicht. Das will ich auch gar nicht wissen, weil ich keine Lust habe, an der nächstbesten Tür zu klingeln und wildfremde Menschen zu fragen, wer Bonnie Prince Billy sein könnte. Also: Ich habe keine Ahnung, wer dieser Bonnie Prince Billy ist.

Sie lesen auch nicht, was über ihn geschrieben wird?

Nein. Ich lese jede Menge Bücher, auch Magazine, aber sicherlich keine Rezensionen. Sehr selten lese ich mal ein Interview mit mir, weil ich überprüfen will, ob das, was ich mitteilen wollte, auch rübergekommen ist. Aber dann mache ich einen Bogen um die Interpretationen des Journalisten und lese nur meine eigenen Zitate.

War denn der Versuch, mit Bonnie Prince Billy von der Privatperson Will Oldham abzulenken, ein Erfolg?

Mir scheint es zumindest gelungen zu sein, ein respektvolles Verhältnis zu meinem Publikum aufzubauen. Ich mag die Menschen, die zu meinen Auftritten kommen, ich mag die Menschen, die meine Platten kaufen. Ich mag sogar die Leute, die sich meine Songs umsonst aus dem Netz herunterladen. Jedenfalls die, die ich kennengelernt habe. Der Rest lässt mich in Ruhe und versucht nicht, eine persönliche Beziehung aufzubauen. Im Idealfall können die Leute meine Songs in Beziehung setzen zu ihrer eigenen Existenz und haben es nicht nötig, sich Gedanken zu machen über die Existenz eines gewissen Will Oldham oder Bonnie Prince Billy. So mache ich das jedenfalls, wenn ich Musik höre: Der emotionale Wert eines Songs hängt davon ab, inwieweit ich mich zu ihm in Beziehung setzen kann. Und nicht davon, ob er direkt aus dem Leben des Sängers gegriffen ist.

Gut, vielleicht wissen Sie aber wenigstens, was dieser Bonnie Prince mit seinem neuen Album „Beware“ erreichen wollte?

Plattenverkäufe, Einkommen, Liebe. (lächelt)

Hat das Album ein Thema?

Es scheint mir, als hätte sich Bonnie Prince Billy mit Entfernung beschäftigt. Die Position des Erzählers scheint immer einen gewissen Abstand zu haben, die Folge ist das Fehlen von Intimität auf dieser Platte. Aber das ist nur so zusammengefaselt. Sie könnten sich genauso gut was ausdenken.

Mir ist eine Verbindung zu Ihrem ersten Album aufgefallen. Das hieß damals „There Is No-One What Will Take Care Of You“. Auf dem neuen Album gibt es nun die Zeile: „I don’t belong to anyone, there’s no one who will take care of me“. Schließt sich da ein Kreis?

(amüsiert) Könnte sein. Vielleicht ist das die allerletzte Platte von Bonnie Prince Billy. Ist ja alles möglich. (lacht) Vielleicht sollte ich ab jetzt besser aufpassen, wenn ich über die Straße gehe. Außerdem, wer weiß das heutzutage schon: Vielleicht wird die ganze Musikindustrie morgen dichtgemacht und das war wirklich meine letzte Platte. Aber es ist eigentlich nicht mein Stil, Geheimbotschaften in meine Album- oder Songtitel zu verpacken. Es gab keine bewusste Strategie hinter diesen Zitaten. Außerdem haben wir schon wieder ein paar Songs aufgenommen und die sind ziemlich lebendig geworden. Tatsächlich geht es mir aber wirklich oft so, dass ich nach einer Platte bezweifle, ob ich mir diese ganze Plackerei noch einmal zumuten will.

Dafür veröffentlichen Sie in einer erstaunlichen Frequenz.

Ja, das war eher Koketterie. (pathetisch) Ich liebe eben meine Arbeit.

Was hält Ihre Plattenfirma davon, dass sie meist zwei Alben pro Jahr herausbringen?

Ja, normale Plattenfirmen mögen das nicht, weil sie die einzelne Platte dann angeblich nicht vernünftig bewerben können. Die Medien würden zu schnell überdrüssig werden. Aber in der Folge werden Künstler dazu gezwungen, ihre Weiterentwicklung künstlich zu verlangsamen – bis sie sich dann nicht mehr weiterentwickeln. Das ist der Grund, warum so viele Bands nach nur zwei oder drei Platten auseinanderbrechen. Aber glücklicherweise ist meine Plattenfirma anders: Die wissen, dass es am besten ist, mich in meinem eigenen Tempo arbeiten zu lassen. Ist ja auch billig für die: Meistens nehme ich auf eigene Kosten auf, gebe denen das Band und verbiete ihnen auch noch, groß Werbung zu machen.

Auch ohne Werbung haben Sie eine treue Fangemeinde aufgebaut. Haben Sie sich jemals Gedanken gemacht über ihren Rolle im Musikgeschäft?

Tatsächlich hab ich mir darüber in letzter Zeit öfter mal Gedanken gemacht. Ich denke sogar, ich hätte mir darüber schon viel früher Gedanken machen sollen. Ich glaube, dass ich und einige Kollegen Musik schreiben, produzieren und vertreiben, die eigentlich außerhalb davon stattfindet, was man gemeinhin die Musikindustrie nennt. Ich war oft verwirrt, warum Menschen, die viel mehr Platten verkaufen, aber grundsätzlich ja nichts anderes tun als ich, so vollkommen andere Erfahrungen zu machen scheinen. Dann aber hab ich begriffen: Wenn man sich außerhalb hält, dann gelten auch plötzlich andere Gesetze für einen. Das mögen imaginäre Gesetze sein im Vergleich zu den akzeptierten Gesetzen des Marktes, aber es sind in Wirklichkeit die stärkeren Gesetze. Einer wie ich hat bei einer Party oder bei einer Preisverleihung nichts zu suchen. Ich mache nur alle fünf oder sechs Jahre mal Werbung für meine Platten.

Ist diese Verweigerung nicht auch nur eine Marketingstrategie, nur eine sehr clevere, nicht so offensichtliche?

Vielleicht kann man es eine Marketingstrategie nennen, dass ich nicht will, dass jemand meine Platte kauft, obwohl sie ihm nichts bedeutet. Wenn ich zu viel Werbung mache, indem ich Interviews wie dieses gebe, dann führt das zu zufälligem Hören und zu zufälligem Geldausgeben für Platten, die man gar nicht haben will. Und das ist doch nur Verschwendung: Geldverschwendung, Zeitverschwendung und nicht zuletzt wird überflüssigerweise auch noch das Plastik verschwendet, aus dem die CDs hergestellt werden. Die weitere Folge wäre ein Publikum bei meinen Konzerten, das da gar nicht sein will. Wer hat davon was? Ich will Leute, die zum Konzert kommen wegen der Musik und nicht, weil es cool ist, zu diesem seltsamen bärtigen Typ ins Konzert zu gehen. Ich will Respekt haben können vor meinem Publikum. So gesehen ist es eine Marketingstrategie, denn so sorge ich dafür, dass mir das alles auch noch Spaß macht.