Trauerspiel in Hippi-Kluft

Mit Romeo und Julia bringt das Bremer Theater die Urvorlage aller Liebesdramen auf die Bühne. Allein: Von großer Dramatik ist in Aureliusz Smigiels Inszenierung nicht allzuviel zu spüren

Zumindest die Kampfszenen sind filmreif. Tritte, Schläge und ein Gullydeckel, der in Romeos Händen dem streitsüchtigen Lackaffen Tybalt, Cousin von Julia, schließlich den Schädel zertrümmert – für theaterblutgetränkte Kurzweil ist in Aureliusz Smigiels Inszenierung von Romeo und Julia zunächst gesorgt. Die großen Liebesdramen hat sich das Bremer Theater in dieser Saison auf die Fahnen geschrieben. Medea läuft bereits, Emilia Galotti hat im Mai Premiere. Das Urvorbild des Genres von William Shakespeare ist jetzt gleich doppelt zu sehen: als Oper ab Sonntag im Musicaltheater. Und als Bühnenstück im Schauspielhaus seit Samstag.

Regisseur Smigiel (u.a. Der Kirschgarten) hat die frühneuzeitliche Story von den verfeindeten Familien Capulet und Montagu, deren Sprösslinge sich lieben, in die 70er gebeamt. Schlaghosen, bunte Hemden, der Pater (Christoph Finger) im Anorak und ein roter Karo-Rock für Julia (Jördis Triebel). Dazu eine verstockte Elterngesellschaft, gegen deren Spießertum die Verliebten und Jungen revoltieren. Julia weigert sich, den Grafen Paris (Steve Binetti) zu heiraten? „Gras’ wo du willst, doch nicht an meinem Tisch“, schäumt Vater Capulet (Detlev Greisner): „Du erbst nichts und kriegst keine Unterstützung.“ Julia trägt’s mit Shakespeare: „Wohnt denn kein Erbarmen oben in den Wolken, dass keiner meinen Abgrund schaut?“

Nicht nur die flapsigen Passagen, die Smigiel und Dramaturg Helge-Björn Meyer in Frank Günthers Sharespeare-Deutsch hineingeschnitten haben, auch manche Szene macht auf lustig. Romeo (Henrik Zimmermann) etwa, von Verlangen getrieben, stürzt durch Julias Fenster, Kopf nach unten, Beine in der Luft, schwingt zurück, die Lippen fest an die von Julia gesaugt. Derlei Klamauk sorgt zwar für Lachen im Parkett – die Spannung aber bricht.

Selbst der Statisten Tanz ist besser ausgefeilt als das Agieren im Duett von Romeo und Julia. Mit inszenierter Unsicherheit der beiden Frischverliebten hat das nichts zu tun. Denn gerade die Stellen, an denen der Widerspruch zwischen der unverbrüchlichen Liebe einerseits und der erst unbeholfenen, später vom Blut an Romeos Händen überschatteten Begegnung andererseits zum Vorschein kommen könnte, sind leidlich lapidar. Romeos Besuch bei Julia etwa, die oben links im weißen Haus der Capulets ihr Zimmer hat und dort verzweifelt, weil ihr Mann ein Mörder ist: Der eilt herbei, steigt durchs Fenster und fängt sich eine. Das war’s mit Zweifeln und mit innerem Zerriss – Sekunden später schon ist seine schwere Schuld kein Thema mehr: Küsse, Zärtlichkeiten, Vorhänge zu. Derweil zieht der backenbärtige Graf Paris in der Mitte der Bühne auf einer E-Gitarre schrammend alle Aufmerksamkeit auf sich.

Der Verlust des Briefes, der Romeo vom rettenden Plan – Julia will der Zweitehe mit Paris mithilfe ihres Schein-Tods entgehen – in Kenntnis setzten soll, jener letzte Zufall also, der beide Verliebten letztlich in den Freitod stürzen lassen wird, findet nur indirekt Erwähnung. Und auch die Szene in der Gruft am Schluss, wo Romeo sein Gift nimmt kurz vor Julias Erwachen und diese sich dann unbesorgt das Messer in den Leib rammt, läuft zu glatt. Kein Raum, keine Zeit, Emotion zu entfalten, lässt Smigiel den Liebenden. Das Stück wird hastig – aber leider lang. Armin Simon

Nächste Vorstellungen: 15., 17., 19., 22., 24., 31. Oktober im Schauspielhaus. Romeo et Juliette (Oper): Premiere am 19. Oktober im Musicaltheater