„Ich bin alter Berlin-Fan“

Stephan Braunfels

„Berlin steht gar nicht so schlecht da, man müsste nicht viel sprengen. Aber was falsch gelaufen ist, na ja, das ist schon das Sony Center“

Dafür, dass Stephan Braunfels, 53, einmal Bauverbot in München hatte und früher in Berlin nicht mal den Auftrag für eine Hundehütte erhielt, hat er es heute weit gebracht: An der Isar plante der Architekt die neue Pinakothek der Moderne, in Berlin die Parlamentsgebäude Paul-Löbe- sowie Marieluise-Lüders-Haus. Braunfels stammt aus einer kunstliebenden Familie: Vater und Mutter waren Kunsthistoriker, sein Großvater war Komponist. Ein Gespräch über Querulantentum, das Braunfels nachgesagt wird, vergangene Existenzkämpfe und die angemessene Strenge von Parlamentsbauten.

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER
und JAN ROSENKRANZ

taz: Herr Braunfels, wir sitzen hier in Ihrem Büro – gegenüber der taz und der „taz-Kantine“ Sale e Tabacchi, einem Treffpunkt für Architekten. Sie sieht man dort selten. Liegt das am Essen oder an den Kollegen?

Stephan Braunfels: Zugegeben, früher war ich häufiger im „Sale“. Jetzt geht das Projekt Paul-Löbe- und Marieluise-Lüders-Haus dem Ende entgegen und ich bin nicht mehr so oft in Berlin. Übrigens: Gestern war ich mal wieder im „Sale“ und es ist erstaunlich, was passiert, wenn man sich rar macht. Man wird umso herzlicher begrüßt, und das Essen war fantastisch.

Vielleicht auch darum: Sie gelten als Querulant und schwierig …

… das hat aber nichts mit dem Restaurant zu tun (lacht). Das kommt aus München. Seit 25 Jahren habe ich ein Büro. Und von Beginn an habe ich mich in öffentliche Angelegenheiten eingemischt und städtebauliche Probleme öffentlich zur Diskussion gestellt. Das hat dem damaligen Münchner Baustadtrat Uli Zech nicht gefallen. Der hat mir dieses Image angeheftet.

Hat das geschadet?

Ich war verbrannt. Der internationale Durchbruch als Querulant kam mit meinem Gegenvorschlag für das Hofgartenareal, als Franz Joseph Strauß dort durch seine Mammut-Staatskanzlei alles zu zerstören drohte. Meine Pläne haben eine riesige Protestwelle ausgelöst. Strauß, Stoiber und Zech waren stinksauer.

Viel Feind, viel Ehr?

Na ja. Es war ein heftiger Streit mit nachhaltigen Folgen. Ich bekam Bauverbot in München. Zech hat allen großen Bauherren gedroht. Sie sollten nicht mit mir als Architekt zu bauen. Für mich ging das an den Rand der Existenz.

Als Berlin Hauptstadt wurde – was hat Sie als Architekt damals gereizt, hier zu bauen: Geld, Macht, Ruhm?

Ich bin alter Berlin-Fan. Für mich war das hier immer die deutsche Architekturhauptstadt – von Schinkel bis Mies van der Rohe. Ich wußte immer, ich will hier etwas bauen – und wenn es nur eine Hundehütte ist.

Aber Berlin muss für einen Architekten doch auch interessant gewesen sein, endlich richtig Kohle zu machen?

Daran habe ich nie gedacht.

Also das glauben wir Ihnen nicht.

Wirklich. Was meinen Sie, ich habe bei der Pinakothek der Moderne über sechs Millionen Mark draufgezahlt. Geld verdienen, ja, das denkt man immer so. Aber mit solchen anspruchsvollen öffentlichen Bauwerken verdienen Sie überhaupt kein Geld. Im Gegenteil!

Immerhin haben Sie – obwohl Sie es in Berlin nie zu einer Hundehütte schafften – den Wettbewerb für einen Teil von „Band des Bundes“ gewonnen.

Das war ein offener Wettbewerb, und ich hatte Glück, denn der Kreis der Teilnehmer bestand nicht aus 10 oder 15 wie üblich, sondern aus 50. Das Auswahlgremium saß in Bonn und war bundesweit besetzt. Wäre es eine reine Berliner Geschichte geworden, hätte ich nicht einmal am Wettbewerb teilnehmen dürfen. Dass ich dann sogar gewonnen habe, hat mich selbst am meisten überrascht.

Andere waren nicht so begeistert.

Vor allem Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Inzwischen sind wir zwar wieder sehr versöhnt, aber er hat noch beim Richtfest geraunzt: „Na ja, das wird ja wohl hoffentlich der letzte Entwurf von Le Corbusier in diesem Jahrhundert sein.“ Ich glaube, jetzt schätzt er ihn langsam.

Wie würden Sie Ihren Parlamentsbau mit einem Satz beschreiben?

Ich bin doch kein Journalist, der schöne Schlagwörter findet …

als „Bushaltestelle“, „Achtzylinder“ oder „Kathedrale“ wurde das Paul-Löbe-Haus von Architekturkritikern charakterisiert …

… ja, ich habe nie so darüber gedacht. Wenn ich Musik mache, denke ich in Noten, und wenn ich Architektur mache, dann denke ich in Architekturformen, nicht in Sprache.

Okay, bleiben wir trotzdem bei den Kritikern. „Pathetisch – kühl“. Ist das ein Widerspruch bei diesem Haus?

Ich finde es nicht pathetisch und überhaupt nicht kühl. Ich finde die Strenge angemessen. Ein so großes Parlamentsgebäude verlangt eine großartige Geste. Und großartig ist nicht pathetisch. So ein Gebäude braucht aber auch Leichtigkeit und Eleganz. Der Beton ist leider viel zu dunkel geworden. Ich finde es außerdem sehr schade, dass das Innere nicht öffentlich zugänglich ist.

Haben Sie denn geglaubt, dass es öffentlicher werden könnte? Es ist ein Parlamentsgebäude!

Ich hatte gehofft, dass es viel öffentlicher wird.

Aber Sie selbst kommen doch hoffentlich rein?

Ja, ich schon. Aber wenn ich im Flugzeug von München nach Berlin einen Kollegen treffe oder einen Bauherrn und sage, ich zeige dir mal eben in Berlin kurz das Löbe-Haus, dann komme ich mit dem nicht rein, weil der nicht angemeldet ist, mit Geburtsdatum und Passnummer. Das könnte sogar ein bayerischer Minister sein. Das finde ich schon etwas übertrieben.

Wird es denn ähnlich schwer, ins Lüders-Haus zu kommen?

Ich befürchte ja, hoffe aber, dass es leichter wird, weil dort keine Abgeordneten drin sind. Ich habe immer dafür plädiert, diese Bibliothek öffentlich zugänglich zu machen. Es wäre schade, wenn die drittgrößte Parlamentsbibliothek der Welt geschlossen bliebe.

Finden Sie es eigentlich richtig, dass hinter dem Neubau die Luisenplatte abgerissen wird?

Als ich dort antrat, gab es schon das Konzept, dass der Lüders-Bau bis an die Luisenstraße reichen soll. Wir haben auch längst eine Vorplanung in der Schublade. Außerdem wurde allen Bewohnern für die Bauzeit eine Ersatzwohnung angeboten. 80 Prozent der Bewohner haben das Angebot genutzt, einige sind geblieben – vor allem die am Spreeufer.

Haben Sie mal mit jemanden aus dem Haus gesprochen?

Nein, aber man hat mir gesagt, dass die letzten Querulanten alte DDR-Spitzenoffiziere gewesen sind, weil nur die dort wohnen durften. Aber das ist nicht mein Acker. Wenn der Bundestag oder der Senat beschließt, das Haus abzureißen, sollen sie das tun. Es wäre schön, wenn dort weiter gebaut wird. Noch schöner wäre, wenn ich das tun dürfte.

Dann wäre das Regierungsband mit Kanzleramt, Parlaments-, Bibliotheksbauten und Büros fertig. Ist dieses Ensemble jetzt eher eine Berliner oder eher eine Bonner Idee?

Auf jeden Fall eine Berliner Idee. Schon der Architekt Axel Schultes ist Berliner. Wenn es nach Bonn gegangen wäre, hätte Kohl versucht, dort ein paar versprengte Pavillonbauten errichten zu lassen. Dass es eine so starke städtebauliche Form geworden ist, dass ist schon Berlin. Es ist allerdings nicht berlinerisch im Sinne des Kiezdenkens – es ist schon ein Stück Weltarchitektur!

Sehr bescheiden, Herr Braunfels!

Aber das ist doch klar: Wenn so ein großes Regierungsviertel neu konzipiert wird, schaut man doch nach Washington oder nach Chandigarh in Indien. Es muss gegenüber anderen großen Hauptstädten bestehen können.

Und das, was am Potsdamer Platz steht, ist das keine Weltarchitektur?

Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen. Mir fällt auf, es wird immer besser dort. Anfangs war ich etwas enttäuscht, dass so viele Großarchitekten nur „zweite Wahl“ abgeliefert haben.

Finden Sie?

Ja, ob Renzo Piano, Isozaki oder Rogers. Ich kenne wesentlich bessere Bauten von ihnen. Aber das rote Ziegelsteinhochhaus von Hans Kolhoff ist gut. Es ist das Beste, was er je gebaut hat. Das sieht man vor allem im Vergleich zum Sony-Turm gegenüber.

Andere Baustelle: Schlossplatz. Sie haben für eine barocke Fassade votiert. Ist das nicht eine Bankrotterklärung der modernen Architektur?

„Wenn ich Musik mache, denke ich in Noten, und wenn ich Architektur mache, dann denke ich in Architekturformen, nicht in Sprache“

Also, ich habe nun wirklich keinen Grund Bankrotterklärungen für die moderne Architektur abzugeben. Aber es gibt für mich immer wieder ganz bestimmte Orte, an denen ich diesen Zwang zur Moderne einfach banal finde.

Das ist doch kein Indiz dafür, dass dann dort auch etwas „Banales“ entstehen muss?

Hab ich nicht gesagt. Und mein Vorschlag ist schon gar nicht banal, er verwendet nur eben die barocke „Fassade“ von Andreas Schlüters. Das ist vor allem städtebaulich wichtig. Banal wäre es, das Schloss historisch wieder aufzubauen. Aber wenn man für diesen Ort ein modernes Einzelbauwerk entwerfen will, dann müsste es schon so etwas werden wie das Centre Pompidou. Wie viele Bauwerke dieses Ranges gibt es denn? Wie oft ist so etwas gelungen?

Also finden Sie das zu mutig?

Nein, die Frage ist doch: Was bringt es der Stadt? Und brauchen wir in Berlin unbedingt endlich einen mutigen modernen Bau? Nein. An dieser Stelle finde ich es viel wichtiger, ein Bauwerk zu errichten, das die Vergangenheit und die Zukunft verbindet, das zudem ein städteräumliches Gelenk zwischen Ost und West darstellt. Jedem noch so guten modernen Bauwerk fehlt die Brücke zur Vergangenheit. Die Öffnung des Schlüterhofes hin zum Alexanderplatz schafft zudem einen Brückenschlag nach Osten.

In den nächsten zwei Jahre wird dort, wie jüngst beschlossen, eher wenig passieren?

Ja, weil immer erst dann geplant wird, wenn Geld da ist. Aber man muss Planen, wenn kein Geld da ist. Jetzt ist der Zeitpunkt, damit zu beginnen.

Ist es ein Fehler, dass immer vom Schloss geredet wird? Die Menschen stürmen neue Bauten: Pei, Libeskind.

Ja, und das Paul-Löbe-Haus, wenn man es stürmen könnte. Ich hätte übrigens auch gerne mal das Budget, dass Pei oder Libeskind hatten. Die Leute erkennen die Würde dieser Häuser – natürlich ist so etwas sehr teuer. Aber das sollte man denen zeigen, die sich immer um die Steuergelder sorgen. Die sind gut angelegt, wenn sie ausreichen, um damit perfekt zu bauen. Perfekt ist aber teuer.

Kennen Sie das Berliner Kunstprojekt namens „Sprengantrag“?

Nein, nie gehört.

Da darf jeder, der sich an einem Gebäude stört, den Antrag auf Sprengung stellen. Was würden sie beantragen?

Das ist ja was. Sprengen. Soll ich polemisch oder realistisch antworten?

In der taz kann man grundsätzlich fast alles fordern.

Berlin steht gar nicht so schlecht da, man müsste nicht viel sprengen. Aber was falsch gelaufen ist, na ja, das ist schon das Sony Center. Ich war dort mal zum Fußballgucken, für viel mehr ist es auch nicht zu gebrauchen. Schade.