Balkone und Gärten ersetzen den Totalabriss

„Verkleinerung mit Methode“: Städte in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt machen vor, wie man sich überflüssiger Architektur entledigt. Leinefelde ist vorbildlich, in Halle-Neustadt entstand gar ein Wahrzeichen

In Hoyerswerda fielen die ersten Platten schon vor vier Jahren. „Die Stadt war Vorreiter beim Abreißen“, sagt Dorit Baumeister, Architektin in Hoyerswerda. Eine der wenigen Personen unter 45, die noch nicht weggezogen sind. Noch Anfang der Neunzigerjahre wohnten in der Plattenbausiedlung 60.000 Menschen. Jetzt sind es 30.000.

Zu viel Architektur für immer weniger Menschen: Der Abriss ganzer Häuser soll das Problem effizient beheben. Etwa 2.500 Wohnungen wurden seit 1999 „vom Markt genommen“, wie es amtlich heißt. Viermal so viel sollen insgesamt verschwinden, plant die Stadt. „Aber das wird bei weitem nicht reichen“, erklärt Baumeister. Denn bis 2020 soll sich die Bewohnerschaft noch einmal halbieren. Das wollte man in der Stadtverwaltung aber lange nicht wahrhaben. Und hat hier und da einfach Häuser verschwinden lassen, die großflächige Brachen hinterließen. „Wachstum lässt sich eben leichter steuern als Schrumpfung“, so Baumeister. Zudem gibt keine Stadtverwaltung gern zu, dass die Leute fortziehen und in ein paar Jahren vor allem Alte die Straßen bevölkern werden. „Die Verdrängung ist aber genau das Problem“, sagt die Architektin und hat im Sommer sechs Wochen Programm gemacht in der Großsiedlung: Künstler und Planer zu Aktionen eingeladen, „um das Thema Schrumpfung ins Bewusstsein zu holen“.

Auch die thüringische Stadt Leinefelde besteht fast vollständig aus Plattenbauten. Dass die Stadt nicht bleiben kann, wie sie ist, hat ihr Bürgermeister Gerd Reinhard aber schon 1993 eingesehen. Abgerissen wurde planvoll: nach dem Bedarf der Bewohner. Häuser im Zentrum bekamen nach und nach ein neues Gesicht: Um zwei bis drei Geschosse erleichtert, mit Balkonen und Laubengängen verwandelten sie sich in Stadtvillen oder kleinere Mietshäuser mit direktem Zugang zum eigenen Garten. Demontierte Platten werden wie Bausteine für neue Kombinationen genutzt. Die Leinefelder „Verkleinerung mit Methode“ wurde mehrfach prämiert und gewann einen der ersten Preise beim Wettbewerb des Bundesprogramms Stadtumbau Ost. Vielen ostdeutschen Städten diente Leinefelde als Vorbild. So auch dem Plan für Marzahn, ebenfalls Preisträger beim Stadtumbau Ost.

Leipziger Baugenossenschaften blickten für den Umbau ihrer Plattenbauten in der Großsiedlung Grünau ebenfalls nach Leinefelde. Nur leider ohne großen Erfolg. Umbaukonzepte gibt es seit Jahren, passiert ist noch nichts. Der Baudezernent erschreckte die Bewohner vor zwei Jahren mit Visionen großflächiger Totalabbrüche. „Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn noch mehr Leute wegziehen“, sagt Christian Grötsch, Stadtteilmoderator in Grünau.

Walter Prigge, Stadtsoziologe an der Stiftung Bauhaus Dessau, will „die Stadt neu erfinden“. „Umbau“ gilt hier als soziologische, künstlerische und städtebauliche Herausforderung. Wohnen sei nur eine Möglichkeit von vielen. So könnte eine riesige Rutsche an einem Hochhaus in Halle-Neustadt für neues Leben sorgen. Und zudem noch Wahrzeichen eines Ortes werden, der als einer der hässlichsten Deutschlands gilt: eine Idee des Berliner Architektenbüros Raumlabor. GRIT EGGERICHS