Was heißt denn hier Realität?

Klaudia Brunst hat ein Buch gemacht über das vermeintlich wahre Leben im deutschen Reality-Fernsehen

Was ist eigentlich authentisch, was nur inszeniert. Und wo liegt die Grenze zur „inszenierten Wirklichkeit“? Seit Doku- und Real-Life-Soaps, Gerichts- und Talkshows, „Big Brother“ und „Deutschland sucht den Superstar“ zu einem großen Teil das Fernsehen bestimmen und die Zuschauererwartungen und -gewohnheiten formen, ist das oft nicht leicht zu beantworten.

Bei Richterin Barbara Salesch mühen sich Laiendarsteller, wie echte Menschen zu wirken, und Castingfirmen sorgen für einen Strom an neuen Talkshowgästen – ohne Gewähr, dass deren Geschichten und Probleme nicht erfunden sind.

Klaudia Brunst (früher Medien- und Chefredakteurin der taz, heute freie Journalistin und Lehrbeauftragte), schaut noch immer gern Unterhaltungsfernsehen. Ihren Texten nach zu urteilen fasziniert und manchmal auch mit mildem Abscheu.

Deshalb hat sie zahlreiche Fernsehkritiken und Aufsätze der vergangenen acht Jahre dem unterhaltenden Teil des deutschen TV-Alltags gewidmet. Dabei reflektiert und analysiert sie Trends und Massenphänome in ihrem gesellschaftlichen Kontext. Sie nimmt den medialen Trash ernst, als das, was er sein will: Entertainment für die Massen. Häme, Spott oder intellektuelle Überheblichkeit kommen dabei nicht vor. Es geht ihr darum, aufzuzeigen, wie Unterhaltungsfernsehen funktioniert.

In ihrem Buch „Leben und leben lassen“ hat sie viele ihrer Texte nun zusammengestellt. Thematisch strukturiert ergibt sich daraus eine lesenswerte Geschichte des deutschen Realtiy-Fernsehens. Die hat sie um einige sehr ausführliche und intensive Interviews ergänzt.

Martina Borger, Drehbuchautorin der „Lindenstraße“ kommt zu Wort, die ehemalige Gesundheitsministerin und jetzige TV-Talkerin Andrea Fischer wird befragt oder Volker Weickel, der Bildregisseur des Kanzlerduells von Sat.1 und RTL. Am bemerkenswertesten aber ist das Gespräch mit der Erfinderin und Regisseurin der Serie „Fussbroichs“, die zehn Jahre lang das wahre Leben einer Kölner Arbeiterfamilie festhielt und damit das Genre der Doku-Soap begründete.

Aber was heißt schon wahr. Fans der Fussbroichs werden nach der Lektüre entsetzt sein, wie sehr selbst hier Leben für die Kamera inszeniert war und schließlich die Alltagsrealität bestimmt hat. AXEL SCHOCK

Klaudia Brunst, „Leben und leben lassen. Die Realität im Unterhaltungsfernsehen“. UVK Verlag, 24 €