Kofi Annan: Irakkrieg war „illegal“

In einem BBC-Interview sagt der UN-Generalsekretär deutlich, der Krieg habe gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoßen. Er hoffe, so etwas nicht noch einmal zu erleben. Die britische Regierung weist die Vorwürfe umgehend zurück

VON BERND PICKERT

UN-Generalsekretär Kofi Annan hat in bislang seltener Deutlichkeit den Irakkrieg als „illegal“ bezeichnet. In einem BBC-Interview sagte Annan, der Krieg habe nicht im Einklang mit der Beschlusslage des UN-Sicherheitsrates und der Charta der Vereinten Nationen gestanden. „Ich hoffe, wir werden für lange Zeit keine Operation wie im Irak mehr erleben – ohne UN-Mandat und ohne eine wesentlich größere Unterstützung der internationalen Gemeinschaft“, sagte Annan der BBC.

Während Annans Äußerungen den US-Medien gestern nicht einmal eine Kurzmeldung wert waren, reagierte die britische Regierung umgehend auf die Anwürfe. Ein Sprecher des britischen Premierministers Tony Blair erinnerte daran, dass Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith unter Verweis auf vorhergegangene UN-Resolutionen erklärt habe, die Teilnahme am Irakkrieg sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Auch die britische Handels- und Industrieministerin Patricia Hewitt sagte gestern, sie teile die Meinung Kofi Annans nicht: „Es gab zu diesem Thema immer unterschiedliche Sichtweisen. Ich respektiere natürlich seine Ansichten und bedauere, dass wir mit ihm nicht übereinstimmen.“

Im Unterschied zur US-Regierung, die den UN-Sicherheitsrat ohnehin nur widerwillig in der Irakfrage eingeschaltet hatte, galt die Mandatierung durch den Sicherheitsrat in Großbritannien als politisch essenziell.

Erst als bei den Debatten im Sicherheitsrat klar wurde, dass eine den Krieg autorisierende Resolution keine Mehrheit finden und vermutlich sogar durch ein Veto Frankreichs blockiert werden würde, zogen die USA einen entsprechenden Resolutionsentwurf zurück – und Tony Blair erklärte daraufhin, die bisherige Resolution reiche aus, um einen Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen. Der Irak verstecke seine Massenvernichtungswaffen vor den Waffeninspekteuren der UN und verletze somit seine Pflicht zu Abrüstung und Offenlegung seiner Waffenprogramme, woraus sich das Recht ableite, militärisch gegen ihn vorzugehen.

In wenigen Wochen wird der Abschlussbericht der UN-Waffeninspekteure erwartet, der vermutlich endgültig feststellen wird, dass der Irak ab Ende der Neunzigerjahre nicht mehr über Massenvernichtungswaffen verfügte. Tony Blair könnte innenpolitisch damit erneut unter Druck geraten, denn dass das wirkliche Kriegsziel der USA und Großbritanniens, der Sturz des irakischen Regimes, von den UN-Resolutionen gedeckt gewesen wäre, behauptet nicht einmal er.

Auch Australiens Regierungschef John Howard wies Annans Kritik zurück – mit der allgemeinen Stellungnahme, die damaligen Rechtseinschätzungen seien absolut gültig.

In den USA wird die Äußerung Kofi Annans kaum Reaktionen auslösen. Zwar empörte sich ein ehemaliger Berater von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld der BBC gegenüber, Kofi Annan sei verpflichtet, im Namen aller Mitgliedsländer des Sicherheitsrates zu sprechen, und es sei eine offenbar mit Blick auf die US-Wahlen terminierte Unverschämtheit, wenn Annan seine persönliche Auffassung als Ansicht der Vereinten Nationen verkaufe.

Doch im US-Wahlkampf dürfte Annans Einschätzung keine Rolle spielen – immerhin haben beide Kandidaten betont, sich in Fragen der nationalen Sicherheit nicht von der Zustimmung internationaler Organisationen abhängig machen zu wollen.