SOLANGE ARAFAT BEDROHT WIRD, MUSS ER UM DIE MACHT NICHT FÜRCHTEN
: Konflikt beigelegt, Lösung vertagt

Der Gewinner heißt wieder einmal Jassir Arafat: Der palästinensische Reformprozess wird für einen weiteren Monat eingefroren. Das Parlament muss nicht befragt werden. Arafat entscheidet, was getan wird. Dass er dazu noch immer oder immer wieder in der Lage ist, ist den Israelis anzulasten. Sie machen es den demokratischen Kräften in Ramallah und Gaza wirklich nicht leicht. Solange sie Arafat bedrohen, braucht er um seine innenpolitische Macht nicht zu fürchten. Selbst diejenigen Palästinenser, die wie viele Israelis in diesen Tagen hoffen, dass es sich bei Arafats Schwäche doch nicht nur um eine harmlose Grippe handeln möge, werden sich schützend vor ihn stellen, wenn die Kampfhubschrauber nahen oder die israelischen Sonderkommandos mit ihrem Auftrag „Neutralisierung“.

Das Damoklesschwert über Jassir Arafat ist für die Entwicklungen im Nahen Osten also äußerst kontraproduktiv. Um für sich selbst Zeit zu gewinnen, signalisiert der kränkelnde Palästinenserpräsident Israel und der Welt guten Willen. Das Notstandskabinett unter Regierungschef Ahmed Kureia soll zumindest den Eindruck erwecken, hier werde für Ordnung gesorgt. Ordnung, die zu allererst im Kabinett selbst fehlt: Die Minister wurden in eiliger Hast zusammengewürfelt; weder verfügen sie über ein demokratisches Mandat, noch herrscht Klarheit über ihre Kompetenzen.

Die größten Sorgen um den Demokratisierungsprozess machen sich die Palästinenser selbst. Die heftige Parlamentsdebatte Ende vergangener Woche, bei der Arafats erneuter Alleingang heftig verurteilt wurde und die Abgeordneten auf ihrer Kompetenz als demokratisch ernannte Volksvertreter beharrten, ist nur ein weiterer Beleg dafür. Doch die fortschrittlichen Kräfte kommen einfach nicht zum Zuge – stattdessen wird auch die innenpolitische Debatte erneut von Invasionen und Militäroperationen beherrscht. Und die neue Regierung steht unverändert vor einer faktisch für sie unlösbaren Aufgabe.

Einen Monat nach dem Abzug der israelischen Truppen wollen die Palästinenser Wahlen abhalten. Theoretisch wäre das also schon Mitte oder Ende November möglich. Die Reformisten glauben, dass sie bei solchen Wahlen gut abschneiden könnten, vorausgesetzt, dass Israel nicht erneut in die Hand Arafat spielt. Und selbst wenn der Alleinherrscher noch einmal als Sieger eines demokratischen Urnengangs hervorgehen würde, gäbe es zumindest klare Verhältnisse. Doch vielleicht ist es gerade das, was man in Jerusalem fürchtet.

SUSANNE KNAUL