Tote an den Barrikaden um La Paz

Der bolivianische Präsident Sánchez de Lozada steckt in der schwierigsten Krise seiner Regierung. Eine entschlossene Koalition aus Indígenas, Campesinos, Kokabauern und Gewerkschaftern will ihn mit Demonstrationen und Streiks zum Rücktritt zwingen

von INGO MALCHER

Nur wenige Tankstellen waren am Wochenende in La Paz geöffnet, es gab kaum Gasflaschen zum Kochen und auf den Märkten wurden einige Lebensmittel knapp. Nach vier Tagen Streik in der Stadt El Alto, nahe der Hauptstadt La Paz, zeigt der Arbeitskampf seine Wirkung. Die Aufständischen halten die sechs wichtigsten Zufahrtsstraßen nach La Paz blockiert. Beim Versuch der Polizei, eine Straße zu räumen, kamen am Samstag drei Menschen ums Leben. Damit sind, bilanziert die Zeitung El Diario, in den letzten drei Wochen acht Menschen getötet und 42 verletzt worden. Zahlreiche Gewerkschaftsführer sind in Haft.

Campesino-Organisationen und Gewerkschaften fordern den Rücktritt der Regierung von Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada. Zündender Funke für die Proteste war das Vorhaben der Regierung, bolivianisches Erdgas über Chile in die USA und nach Mexiko zu exportieren. Die Regierungsgegner fordern, dass zunächst alle Bolivianer Zugang zu Gas haben müssen, bevor der heimische Rohstoff exportiert werden kann. Außerdem rechnen sie vor, dass das Regierungs-Projekt wenig rentabel sei. 300 Millionen Dollar pro Jahr würde der Gasexport der Regierung einbringen, während der Bau der Pipeline fünf Milliarden Dollar kostet. An dem Geschäft würde damit vor allem die Betreibergesellschaft Pacific LNG verdienen.

Präsident Sánchez de Lozada gibt sich unbeirrt. Er denke nicht daran, vor dem 6. August 2007 zurückzutreten, wenn seine Amtszeit offiziell zu Ende geht, betonte er, und machte für die Aufstände „Minderheiten“ verantwortlich, welche die Demokratie in Bolivien „zerstören“ und das Land „spalten“ wollten.

Dabei hat Sánchez de Lozada die Rückendeckung breiter Schichten der Gesellschaft verloren. So riefen Unternehmerverbände, die katholische Kirche und Menschenrechtsorganisationen die Regierung dazu auf, mit den Aufständischen einen Dialog zu führen, um das Land zu befrieden. „Solange es keine Lösungen für die Wirtschaftskrise gibt, wird das nicht aufhören“, sagte Carlos Calvo, Präsident des wichtigsten Unternehmerverbandes des Landes.

Die Streiks und Blockaden der vergangenen Wochen sorgten für die schwierigste Krise der Regierung von Sánchez de Lozada, da ihm ein starkes und entschlossenes Bündnis aus Campesinos, Gewerkschaftern und Kokabauern gegenübersteht.Der Gewerkschaftsdachverband COB drohte der Regierung, zum „zivilen Widerstand“ aufzurufen, sollte sie den Ausnahmezustand verhängen, und die Regierung beschuldigt ihrerseits Indígena-Organisationen, ihre Mitglieder mit Waffen zu versorgen.

Ab Montag werden sich auch die Kokabauern der Region Chapare, im Zentrum des Landes, den Protestaktionen gegen die Regierung anschließen. Aus „strategischen Gründen“ wollten Organisationen der Kokabauern, die rund 35.000 Familien im Chapare vertreten, nicht offen bekannt geben, was sie planen.

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