Sexuelle Untreue doch legal

Ein Gesetzentwurf, der Ehebruch unter Strafe stellt, wird in letzter Minute von der Tagesordnung des türkischen Parlaments gekippt. Spätere Vorlage möglich

ISTANBUL taz ■ Hin und zurück und 1, 2, 3 … Im letzten Moment haben führende Abgeordnete der konservativen Regierungspartei AKP verhindert, dass im türkischen Parlament ein Gesetzentwurf eingebracht wurde, der den Ehebruch unter Strafe stellt. „Ehebruch“ hieß dort „sexuelle Untreue“ und sollte auf die schriftliche Klage des Ehepartners hin mit zu einem Jahr Haft bestraft werden.

Der Gesetzentwurf sollte auf persönliches Betreiben des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan gestern ins Parlament gebracht werden. Aufgrund von Protesten, vor allem der EU, hatte die AKP bis gestern Morgen darauf verzichtet.

Umso größer war die Überraschung gestern Mittag, als der Ehebruch im neuen Gewand wieder auf die Tagesordnung kam. Wie verlautete, schaltete sich Ministerpräsident Erdogan persönlich ein. Er berief am Vorabend eine Sitzung auf höchster AKP-Ebene ein und erklärte, dass „die Bevölkerung diesen Schritt von der Regierung erwarte“. Es gebe Umfragen, wonach sich 70 bis 80 Prozent der Befragten für die Bestrafung von Ehebrechern ausgesprochen hätten. Erdogan scheint überzeugt, dass die Familie in der Türkei gefährdet ist. Er macht die moderne Lebensweise und die Wirtschaftskrise im Land dafür verantwortlich.

Die sozialdemokratische Opposition hatte im Vorfeld gedroht, aus Protest gegen den Entwurf das Plenum zu verlassen. Die Stimmen der Regierungspartei AKP hätten jedoch ausgereicht, das Gesetz zu verabschieden. Die AKP-Abgeordneten beriefen sich nun auf eine Abmachung mit der Opposition, nur einvernehmliche Gesetze zu verabschieden. Sie wollten jedoch nicht ausschließen, dass das Gesetz zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal vorgelegt wird. DILEK ZAPTCIOGLU