Liebesdroge, Heilmittel, Währung

Schokolade galt bei den Völkern, die sie kultivierten, als göttlicher Luxus und war zugleich ein Zahlungsmittel: kein Genuss ohne Wertschätzung. Die Industrialisierung hat das verändert. Doch gerade bei Schokolade zeichnet sich ein Bewusstseinswandel ab – Teil davon ist fairer Handel

VON TILL DAVID EHRLICH

Es waren die Urvölker Altamerikas, die Olmeken, Mayas und Azteken, die Schokolade vor knapp drei Jahrtausenden in Mittel- und Südamerika erstmals kultivierten und dem Genuss zugänglich machten. Die Azteken bevorzugten sie als Heißgetränk, die Mayas in fester Form. Schokolade war vor allem den Eliten vorbehalten, der Aristokratie und der Priesterkaste. Sie galt als göttlicher Luxus. Religiöse Rituale wurden mit ihr zelebriert. Zudem wurde sie überaus geschätzt als Liebesdroge und Heilmittel. Und sogar als Währung: Eine Tomate entsprach dem Wert einer Kakaobohne, ein Truthahn dem von 200 Kakaobohnen. Schokolade schmeckte damals völlig anders als die zuckersüßen Produkte heute. Egal ob flüssig oder fest, der dunkle Stoff wurde als „Xocolatl“ herb, pikant und mit feuriger Schärfe genossen.

Zurück ins Heute: Was hat die Industrie aus der Speise der Götter gemacht? Sie hat den Geschmack wahrer Schokolade abgeschafft. Ob Riegel oder Tafel: All das hat mit dem Geschmack der Kakaobohne nichts zu tun. Der Geschmack der Dinge sagt etwas über ihr Wesen aus. Luxus ist kein Exzess. Er bedeutet Konzentration auf das Wesentliche. Auch in einem Stückchen Schokolade oder einem Schluck Kakao. Und dazu gehört auch, wie und unter welchen Umständen diese Produkte hergestellt wurden. Das Wie ist der Weg zu einem Produkt, sein Wesen kann durch unsere sensorische Wahrnehmung erfahren werden.

Fair gehandelter Kakao und Schokolade sind eine Voraussetzung für qualitätvollere Schokoprodukte. Denn gute Qualität hat ihren Preis. Und den garantieren die verschiedenen Organisationen den Kakaobauern in den Herstellungsländern. Entscheidend ist der Preis, der für die Kakaobohnen gezahlt wird. Die Organisationen, die sich am fairen Handel beteiligen, haben unterschiedliche Methoden, den jeweiligen Preis für Kakaobohnen zu berechnen. Als Beispiel dient hier der Preis der „Fairtrade Labelling Organizations International“ (FLO) für konventionell angebauten Kakao. Liegt der Weltmarktpreis bei maximal 1.600 Dollar pro Tonne oder darunter, muss im fairen Handel ein Mindestpreis von 1.750 Dollar pro Tonne bezahlt werden. Würde der Weltmarktpreis über 1.600 Dollar steigen, so würde im fairen Handel ein Aufschlag von bis zu 15 Prozent auf den Weltmarktpreis bezahlt. Der Aufschlag wird maximal bis zu einem Weltmarktpreis von 2.550 Dollar pro Tonne bezahlt. Steigt der Weltmarktpreis darüber, wird nur noch der Weltmarktpreis bezahlt, da dieser dann bereits einem fairen Preis entspricht. Für Kakao aus biologischem Anbau wird zusätzlich zum Preis für konventionell angebauten Kakao ein Aufschlag von 200 Dollar pro Tonne bezahlt.

Aber neben der Garantie, dass faire Preise für die Kakaobohnen gezahlt werden, geht es vor allem um die Qualität der Kakaobohnen. Man kann Spitzenschokolade und -kakao nur aus Bohnen herstellen, die schonend, sorgfältig und nachhaltig angebaut und verarbeitet wurden. Und bei der Qualität lassen faire Schokolade und Kakao viel zu wünschen übrig – die meisten fairen Schokoladen, sind geschmacklich flach und wenig überzeugend.

Aber es geht auch anders. Ein positives Beispiel ist hier die „Premium“-Bitterschokolade der Gepa. Ein 85-prozentiger Stoff, der die dunkle Seite der Kakaobohne zeigt. Sie schmilzt auf der Zunge mit rauer Kraft und intensiver Herbe, hat geschmackliche Tiefe und schmeckt nicht bitter – anders als fast alle Supermarkt-Bitterschokoladen. Das Schöne an dieser Schokolade ist außerdem, dass sie auch bei Kaiser’s verkauft wird (1,59 Euro die Tafel), also einem größeren Schokoladenpublikum zugänglich ist.

Trotzdem, fair gehandelter Kakao und Schokolade sind ein Nischenprodukt. Haben sie eine Zukunft angesichts der Übermacht der Industrie und des Preisdrucks der Handelskonzerne? Ja, denn gegenwärtig formiert sich eine Gegenbewegung. Es gibt einen Trend zu authentischen und handwerklich gefertigten Produkten – etwa zu hochwertiger Schokolade. Und einen Trend, dafür auch mehr Geld auszugeben.

Die Industrialisierung der Schokolade hat einen Bewusstseinswandel provoziert: Schokolade wird wieder als Delikatesse ernst genommen – Tendenz steigend. Dabei geht es zunehmend um Schokolade in geschmacklich purster Form, wie sie vor der Industrialisierung üblich war. Solche Spitzenschokolade entsteht rein handwerklich und ohne chemische Zusatzstoffe. Mit billigen Täfelchen hat das nichts zu tun. Hier kann man das originale Geschmacksspektrum der Kakaobohne erleben. Man versteht, warum sie einst Zahlungsmittel war.

Aber um daran zu partizipieren, müssen die Anbieter von fair gehandelter Schokolade und Kakao die Qualität ihrer Produkte noch ernster nehmen, als sie es bislang tun. Denn das beste Argument für faire Schokolade und Kakao ist ihr Geschmack. Dieses Argument ist stärker als der rein solidarische und menschliche Aspekt, der bislang als Kaufentscheidung bei fair gehandelten Kakao- und Schokoprodukten im Vordergrund kommuniziert steht. Wenn fair produzierte und gehandelte Kakaobohnen die Grundlage für köstlichste Schokolade ist, werden auch höhere Preise von einer breiteren Schokogemeinde gezahlt. Letztlich entscheidet und überzeugt der Geschmack. Und dass der Weg dahin ein fairer und menschlicher ist, ist ein Teil des schokoladigen Genusses. Er kann sinnlich im Mund erlebt werden. Wahrer Genuss ist Ausdruck einer bewussten, verantwortungsvollen und nicht zuletzt sinnlichen Wahrnehmung unserer Welt.