Die Repräsentantin

Mit Klaus Wowereit, der gerade ihr Land bereist, hat sie wenig gemein: Enoé Uranga Muñoz sitzt im Stadtparlament von Mexiko-Stadt. Als einzige Abgeordnete Lateinamerikas lebt sie offen lesbisch

von WALTRAUD SCHWAB

Sie wollte nicht geoutet werden. Nun aber hängt das Etikett „einzige offen lesbische Abgeordnete in Lateinamerika“ an ihr wie Triumph und Makel in einem. Sie kann nichts dagegen tun. Sicher, Enoé Uranga Muñoz will auch nichts dagegen tun. Trotzdem: Erfreut war sie nicht, erzählt sie, als ihre politischen Gegner öffentlich machten, dass sie „una mujer homosexual“, eine Homosexuelle sei. Wie hätte sie sich auch freuen können? Die Absicht, mit der es geschah, war keine gute. Ihr politischer Aufstieg sollte verhindert werden.

Anlässlich eines Partnerstädteaustausches war Enoé Uranga Muñoz diesen Sommer in Berlin – dass Klaus Wowereit, der gerade in Mexiko weilt, sie treffen wird, ist unwahrscheinlich (siehe Kasten). Anders als der schwule Bürgermeister wehrt sie sich gegen die Vereinnahmung der Szene. Will sich nicht das Label „lesbische Abgeordnete“ wie eine Gloriole umhängen lassen. Keine Komplizenschaft also, ihre Lebenswirklichkeit hat mit seiner sowieso nichts gemein.

Enoé Uranga Muñoz ist Abgeordnete im Stadtparlament von Mexiko-Stadt. Von den meisten linken Basisorganisationen, Frauen- und Menschenrechtsgruppen wurde die Parteiunabhängige, die auf der Liste der Sozialdemokraten aufgestellt war, bei ihrer Kandidatur unterstützt. 250.000 Leute haben sie gewählt. 4,5 Prozent der abgegebenen Stimmen waren das. Es hat gereicht. Seit 2001 ist sie eine der 64 Abgeordneten, die die 20 Millionen Einwohner der mexikanischen Metropole politisch vertreten. Eine Mammutaufgabe. Denn die sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme der Stadt sind enorm.

Die heute 40-Jährige kommt aus einer Familie, in der große Ideen den Ton angaben: Revolution, Widerstand, Kampf. Ihre Eltern gehörten der zapatistischen Front an. Auf das Leben des Kindes wirkte sich das auf eher traurige Weise aus: Ihre Mutter landete im Gefängnis; ihr Vater wurde zwangsweise nach Kuba ausgebürgert.

Deshalb wuchs Enoé Uranga Muñoz bei ihren beiden Großmüttern auf: Die Abuela (Oma) mütterlicherseits sei eine unterwürfige und tief katholische Frau gewesen, erzählt die Abgeordnete. Allerdings mit indianischer Identität. Die Abuela väterlicherseits wiederum war gebildet und dem Gedanken der Gleichberechtigung von Mann und Frau zugewandt.

Mit elf Jahren hält Muñoz ihre erste öffentliche Rede, wird erzählt. Seit damals engagiere sie sich gegen Unterdrückung. Während des Soziologiestudiums bekommt ihre politische Entwicklung eine organisierte Richtung: Sie wird Gewerkschaftsvertreterin der Angestellten der Universität. Weil sie dabei Menschenrechte und Frauenrechte zu ihren Hauptanliegen macht, setzt sie sich dem Vorwurf aus, eine Verräterin am Klassenkampf zu sein. In Mexiko beträgt der Anteil der Frauen an der lohnarbeitenden Bevölkerung 35 Prozent.

Gewerkschaftskollegen waren es übrigens, die sie outeten. Fünfzehn Jahre ist das her. Homosexualität als Stigma – damals ein klarer Fall. Muñoz machte dennoch weiter. Frauenbildungsarbeit im feministischen Kontext und Kulturarbeit an der Universität standen auf ihrer Agenda, bevor sie Direktorin der Gleichberechtigungsstelle im Bereich Sozialpolitik wurde. All das hat sie zur Wunschkandidatin der Frauen- und Menschenrechtsgruppen für die Kommunalwahlen von Mexiko-Stadt gemacht.

„Weil keine Partei im Stadtparlament die Mehrheit hat“, berichtet Enoé Uranga Muñoz, „konnten wir in der letzten Legislaturperiode viel erreichen.“ So wurden auf kommunaler Ebene Steuervorteile für allein stehende oder verlassene Ehefrauen durchgesetzt. Außerdem wurde das Antidiskriminierungsgesetz erweitert. Es gilt nun auch für Behinderte, Homosexuelle, Alleinstehende, Prostituierte sowie für die indigene Bevölkerung. Diskriminierung wurde zu einem Straftatbestand, der mit Gefängnis geahndet wird. Durchgesetzt wurde auch, dass die Ministerien Rechenschaft darüber ablegen müssen, wie viel der öffentlichen Gelder jeweils für Frauen und für Männer ausgegeben wurde.

Die Verabschiedung eines Partnerschaftsgesetzes konnten die Abgeordneten bisher allerdings nicht erreichen, wohl aber eine landesweite öffentliche Debatte darüber. Anders als in Deutschland sollten in dem mexikanischen Gesetz alle Formen alternativer Familien anerkannt werden. Dazu gehören nicht nur Beziehungen zwischen Lesben oder zwischen Schwulen. Auch Konkubinat und das Zusammenleben von Freunden, von Geschwistern, von Patenkindern und Patentanten, das in Mexiko sehr verbreitet ist, wie Muñoz bestätigt, sollten auf eine verbindliche Grundlage gestellt werden. Gesundheitsfragen, Zugang zu Sozialwohnungen, Erbschaftsangelegenheiten würden in den Parternschaftsverträgen Eingang finden. Generell gelte, dass der Vertrag den Vertragspartnern eine größere Entscheidungskompetenz zubillige als die deutsche Variante, erläutert die Parlamentarierin.

Der städtepartnerschaftliche Austausch zwischen Berlin und Mexiko-Stadt mache jedoch vor allem die unterschiedlichen Probleme der beiden Städte deutlich. Die Verkehrs-, Wasser- und Luftverschmutzungsprobleme seien in Mexiko-Stadt nicht nach deutschen Standards in den Griff zu bekommen, weil die Kommune viel zu wenig Geld habe. Auch am Beispiel Mülltrennung wird ein Unterschied deutlich. In Mexiko-Stadt sorgten nur die Armen, die vom Müll leben, letztlich für Mülltrennung. Sie würden jedoch im Grunde von einer Mafia kontrolliert und ausgebeutet, berichtet Muñoz. Ziel ihrer Politik: ein Kooperativensystem aufzubauen, das mit den Recyclingfirmen zusammenarbeitet und denen, die für Mülltrennung sorgen, auch die mageren Gewinne garantiert.

Ihr politisches Engagement bringt Enoé Uranga Muñoz nicht nur Zustimmung. Als offen lesbische Frau passiere es ihr regelmäßig, dass sie bespuckt, beschimpft, bedroht werde. Vor dem Stadtparlament tauchen immer wieder so genannte Kapuzenmänner auf, die lautstark fordern, dass man sie absetzt, aus Politik und Öffentlichkeit entfernt. Sie sei Abschaum. Sie sei eine Missgeburt. Sie sei asozialer Auswurf. Die Abgeordnete geht nicht ohne Bodyguard aus dem Haus. „Als Politikerin muss man perfekt sein“, sagt Muñoz. „Alle warten darauf, dass man einen Fehler macht, vor allem wenn man, wie ich, Präsidentin der Menschenrechtskommission im Parlament ist. Und das in einer Stadt, in der so oft gegen die Menschenrechte verstoßen wird.“

„Damit ich erfolgreich bin, darf ich nicht monothematisch sein“, sagt die Abgeordnete. Deshalb taugt sie nicht zur Ikone der homosexuellen Bewegung. „Warum sagst du, dass du lesbisch bist, wenn du nicht wie eine Lesbe aussiehst?“, werde sie oft gefragt. „Meine Lebensform verletzt Etikette. Ich rauche nicht, trinke nicht, bin langweilig, bin weder Butch noch Femme.“ Dadurch seien die Leute gezwungen, ihre Person zu sehen, nicht ein Stereotyp. „Das ist meine Überlebensstrategie“, sagt sie, „Ich repräsentiere nicht die Bewegung, ich bin Repräsentatin einer Agenda.“