Fakt ist: „Fakt“ kommt

Ab dem 22. Oktober beglückt die Axel Springer AG Polen mit einer neuen Boulevardzeitung. Scheitern der Mission so gut wie ausgeschlossen. Andere Blätter stellen sich auf heftige Abwehrschlacht ein

„Dem wird es ja dann wohl an den Kragen gehen. Aber so ist das Leben: Fressen und gefressen werden.“

aus Warschau GABRIELE LESSER

„Ich weiß doch auch nicht, wann endlich die polnische Bild-Zeitung erscheint!“ Die Kioskbesitzerin in der geblümten Kittelschürze stemmt die Arme in die Hüften. „Ich warte ja selbst ganz gespannt darauf. Die Leute fragen immer wieder.“ Sie wuchtet einen Zeitungsstapel Superexpress direkt vor die Kasse. „Dem wird es ja dann wohl an den Kragen gehen“, schnauft sie und holt einen weiteren Packen. „Aber so ist das Leben: Fressen und gefressen werden.“

Seit gestern steht der Termin fürs große Fressen fest: Am Mittwoch nächster Woche startet Springer Polska „eine neue, moderne Kauftageszeitung“ (Springer-Speak). Fakt soll das Blatt heißen, Chefredakteur Grzegorz Jankowski ist gerade mal 34 und kommt von einer anderen polnischen Springer-Erfolgsgeschichte: Newsweek Polska, die polnische Variante des internationalen Nachrichtenmagazins, hatte nur wenige Monate nach dem Start im Herbst 2001 bereits die bisherigen Branchenführer Polityka und die in Deutschland durch ihre Hitler-Schröder-Bildmontage in Ungnade gefallene Wprost überholt.

Der Springer-Verlag war erst 1994 als letzter westlicher Medienkonzern nach Polen gekommen. Mit Pani Domu (Frau des Hauses), der polnischen Bild der Frau. Sieübernahm aus dem Stand die Führung im Segment der Frauenpresse. Pani Domu erscheint wöchentlich in einer Auflage von einer Million. Inzwischen gehört Polen zu den wichtigen Auslandsmärkten des Springer-Verlages.

Zur Vorbereitung auf Springers polnische Bild-Variante erhöhten alle großen Tageszeitungen Polens bereits Mitte des Jahres Werbeetats. Mariusz Ziomecki, der Chefredakteur des bislang einzigen Boulevardblattes in Polen, Superexpress, hatte noch nie zuvor eine Summe im achtstelligen Zloty-Bereich (umgerechnet über eine Million Euro) zur Verfügung. Doch diesmal wird er mit seiner Abwehrschlacht über Sein oder Nichtsein entscheiden. Mit einer Auflage von rund 270.000 Exemplaren ist das freundlich-bunte Boulevardblatt, in dem es bislang nur wenig Sex and Crime gab, die zweitgrößte Zeitung Polens. In polnischen Händen ist Superexpress allerdings auch nicht: Der Titel gehört dem schwedischen Großverlag Bonnier. Der ist seit 1999 auf dem polnischen Markt aktiv und gibt mit einem polnischen Partner auch noch das tägliche Wirtschaftsblatt Puls Biznesu (Business-Puls) heraus.

Dennoch vermuten viele Medienexperten in Polen, dass der Superexpress gegen eine gut gemachte Boulevardzeitung, die Springer mit einer Startauflage von 700.000 Exemplaren in den Markt drücken wird, keine Chance hat. Denn noch bevor die Konkurrenz überhaupt da ist, macht sich bei Superexpress Leserschwund breit: Seit 1999 gingen dem Blatt rund 80.000 Käufer verloren.

Und nicht nur Superexpress, auch die mit täglich knapp 420.000 Exemplaren erscheinende größte Tageszeitung Polens, die Gazeta Wyborcza, hat sich gewappnet. Erst wollte deren börsennotierter Verlag Agora die Springer-Expansion mit einer eigenen Boulevardzeitung kontern. Eine Arbeitsgruppe wurde gebildet, ein Konzept ausgearbeitet. Doch dann verabschiedete man sich wieder von der Idee eines eigenen „Revolverblatts“. Nicht nur, weil es dem Image der gesellschaftspolitisch engagierten Gazeta Wyborcza geschadet hätte, sondern auch weil die frühere „Wahlzeitung“ der Solidarność bis heute eine gelungene Mischung aus Boulevard und Magazinkultur darstellt. Neben sensationell aufgemachten Skandalgeschichten gibt es seitenlange Bleiwüsten mit philosophischen oder historischen Essays, dazu farbige Magazinbeilagen. Die Mischung ist in Europa wohl einmalig und kommt in Polen gut an. Pünktlich zum angekündigten Start von Fakt, der auch der Gazeta Wyborcza Leser abjagen wird – insbesondere wohl jene in den ländlichen Gebieten rund um die größeren Städte – hat Agora jetzt eine Fernsehkampagne gestartet. „Uns ist nicht alles egal“, erklärt Adam Michnik. Der frühere Bürgerrechtler ist heute Chefredakteur der Gazeta Wyborcza: Wenn man etwas ändern wolle, müsse man selbst etwas tun. Missstände aufdecken, engagiert Stellung nehmen zu politischen Fragen, mit Rat und Tat weiterhelfen.

Und dann hat sich da noch ein geheimnisvoller Mitbewerber aus London gemeldet. Ein bisher anonymer Investor aus Großbritannien hat überraschend die Rechte an der Zycie gekauft. Die konservative Tageszeitung hatte Ende letzten Jahres Konkurs anmelden müssen. Jetzt erklärt Zycies ehemaliger und offenbar auch neuer Chefredakteur Tomasz Wolek: „Wir kommen noch in diesem Jahr wieder raus.“