Scharfe Schüsse auf Demonstranten

Ein Militäreinsatz gegen Protestierende in Bolivien hinterlässt 26 Tote und etliche Verletzte. Schließlich lenkt die Regierung ein: Präsident Sánchez de Lozada will den geplanten Gasexport prüfen und verhandeln. Die Opposition reagiert skeptisch

von INGO MALCHER

Schon am frühen Morgen waren in der Stadt El Alto am Sonntag vereinzelte Schüsse zu hören. Wie der katholische Radiosender Fides meldete, feuerten Soldaten der bolivianischen Armee Salven auf Straßenblockierer, um weitere Aufstände dort bereits im Keim zu ersticken. Die Regierung hatte zuvor den zu La Paz gehörenden Bezirk zum Kriegsgebiet erklärt und Armeeeinheiten dorthin befehligt. Seither bestimmen gepanzerte Wagen mit Artilleriegeschützen das Straßenbild der verarmten Stadt.

Schon seit über vier Wochen legen Streiks und Straßenblockaden Bolivien lahm. In La Paz kam es daher schon zu Versorgungsengpässen. Benzin und Diesel wurden knapp, ebenso Lebensmittel. Ein breite Front aus Campesinos, Kokabauern, Indígenas und Gewerkschaftern will so ein umstrittenes Regierungsprojekt zum Export von bolivianischem Erdgas stoppen und den konservativen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada zum Rücktritt zwingen.

Doch der reagiert mit dem Militär: Bei Auseinandersetzungen am Sonntag kamen nach Angaben der Tageszeitung La Razón in El Alto 26 Menschen ums Leben, die meisten davon durch Schussverletzungen. Mindestens 67 weitere wurden verletzt. Bolivien erlebte damit „den tragischsten Tag während der Demokratie“, wie La Razón kommentierte. Soldaten hatten mit scharfer Munition das Feuer auf Demonstranten eröffnet, die unbewaffnet die Straße blockiert hatten, um einen Konvoi von Tanklastwagen aufzuhalten, der Richtung La Paz unterwegs war.

Auch in La Paz und der im Zentrum des Landes gelegenen Stadt Cochabamba versuchten am Sonntag tausende von Menschen sich den Protesten gegen die Regierung anzuschließen. Doch die Demonstranten wurden von der Polizei mit Tränengas und Knüppeln auseinander getrieben.

Die seit Wochen andauernden Proteste setzen die Regierung mächtig unter Druck, weite Teile der Bevölkerung stehen nicht mehr hinter Präsident Sánchez de Lozada. Weil die Regierung einen Putsch fürchtet, zogen in La Paz vor dem Präsidentenpalast Truppen auf. Ein Regierungssprecher beschuldigte den Anführer der Kokabauern und sozialistischen Pralamentsabgeordneten Evo Morales, ein Komplott zu planen.

Doch am Sonntagabend lenkte Sánchez de Lozada zum ersten Mal ein. Auf einer Pressekonferenz in der Präsidentenresidenz gab er bekannt, dass er das Pipelineprojekt für den Gasexport per Dekret vorerst auf Eis legen wolle. Zunächst sollte in Bolivien über das Projekt diskutiert werden. Erstmals signalisierte Sánchez de Lozada auch Gesprächsbereitschaft mit seinen Gegnern. Während des Wochenendes hatten die katholische Kirche und Menschenrechtsorganisationen darauf gedrängt, dass sich Regierung und Opposition an den Verhandlungstisch begeben. Doch die Regierungsgegner scheinen es damit keineswegs eilig zu haben. Felipe Quispe, Parlamentsabgeordneter und Indígena-Anführer, sagte, er müsse zunächst seine „Basis konsultieren“, ob diese damit einverstanden sei, dass er sich mit der Regierung an einen Tisch setze.