In Brüssel spricht man immer englischer

Nur im EU-Parlament können die Politiker in ihrer Muttersprache reden, ansonsten hat sich Englisch durchgesetzt

BERLIN taz ■ „Sie haben fünf Jahre oder mehr Erfahrung in Journalismus, PR oder ähnlichen Bereichen? Englisch ist Ihre Muttersprache und Sie sprechen wenigstens eine andere große EU-Sprache fließend? Dann sind Sie die richtige Bereicherung für unser junges Team in Brüssel.“ So oder ähnlich manifestiert sich in Stellenanzeigen, was bei Geschäftsleuten und Politikern im EU-Umfeld inzwischen Alltag ist: Englisch hat sich als Verkehrssprache überall durchgesetzt.

Nur die EU-Institutionen halten am Prinzip der sprachlichen Gleichberechtigung fest. „Das Europaparlament ist vielleicht eine der letzten Bastionen sprachlicher Vielfalt in der Union“, bemerkte gestern Patrick Twidle, Chef des Sprachendienstes im Europaparlament, bei einer Konferenz über „Sprachliche Vielfalt im neuen Europa“. Das Europäische Büro für weniger genutzte Sprachen hatte dazu eingeladen. Schon jetzt sprechen 40 Millionen Menschen in der Union nicht die Amtssprache des Landes, in dem sie leben. Nach der Erweiterung wird diese Zahl sich deutlich vergrößern.

Linguistikprofessor Hugo Baetens Beardsmore von der Freien Universität Brüssel machte deutlich, dass nur gezielte Sprachenpolitik dafür sorgen können, dass Minderheitensprachen nicht aussterben. Gehe es nur nach Erfordernissen des Marktes, werde sich Englisch als kleinster gemeinsamer Nenner durchsetzen. Luxemburg, wo seit 1912 erfolgreich Letzeburgisch, Deutsch und Französisch parallel in der Schulbildung gefördert würden, zeige, wie der Staat diesen Trend stoppen könne.

Auch die Europäischen Behörden stellen sich der Herausforderung. Bis zur Erweiterung im Mai 2004 sollen sie von 11 auf 20 Amtssprachen umgestellt sein. Damit erhöht sich die Zahl der Sprachkombinationen von 110 auf 420. Dennoch werden die Sitzungen kaum teurer: Statt 5.200 Euro soll jeder Konferenztag 5.750 Euro kosten. Das Sparkunststück soll durch Reihenschaltungen, so genannte Relais, gelingen: Die kleinen Sprachen werden zunächst ins Englische oder Französische und von dort aus weiter übersetzt.

In Europa stehe ein wachsendes Bewusstsein für Minderheitenrechte in paradoxem Widerspruch zum wachsenden Uniformitätsdruck der Globalisierung, sagte Twidle. Während sich Englisch immer mehr durchsetze, würden die Minderheitensprachen gleichzeitig mehr als früher gefördert. Für manchen Abgeordneten, der einer sprachlichen Minderheit angehört, werde der Auftritt im künftigen erweiterten EU-Parlament eine Premiere sein: Er bekäme zum ersten Mal die Gelegenheit, seine Muttersprache in offizieller Funktion zu benutzen.

Sollte der Vizeregierungschef der Slowakei, Pál Csáky, dem neuen EU-Parlament angehören, könnte er seine ungarische Muttersprache benutzen, denn Ungarisch wird zu den 20 Amtssprachen der EU der 27 gehören. Bei der Konferenz in Brüssel berichtete Csáky, dass 17 Prozent der slowakischen Bevölkerung zu insgesamt zwölf ethnischen Minderheiten des Landes gehören, von denen die Ungarn die größte Gruppe darstellen. Zwar habe sein Land die EU-Charta für Minderheitenrechte unterzeichnet. Die Umsetzung lasse aber immer noch zu wünschen übrig.

Die Konferenzteilnehmer sprachen sich dafür aus, dass alle europäischen Länder die Charta für Regional- und Minderheitensprachen unterzeichnen. Sie enthält eine lange Liste wünschenswerter Maßnahmen, etwa Schulunterricht in der Minderheitensprache von der Vorschulerziehung an und Vermittlung kultureller und historischer Hintergründe der jeweiligen Gemeinschaft. DANIELA WEINGÄRTNER