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DIE ACHSE DER DJS VON JULIAN WEBERHandlungsreisender

Jace Clayton verantwortet als DJ/Rupture eine Freistilsendung beim New Yorker Radiosender WFMU. Auch als Party-DJ wird er von Bogotá bis Fez gebucht. In weit entfernten Weltgegenden sucht und findet der Afroamerikaner musikalische Gemeinsamkeiten. Zu Hause lässt er ihre Bestandteile in den Blog „Mudd Up“ (www.negrophonic.com) einfließen. Dessen Motto „No Surrender, No Delete“ passt auch zu seinem Album „Patches“. Es ist an diversen DJ-Abenden aufgenommen worden. Begleitet wurde DJ/Rupture von Andy Moor, Gitarrist der holländischen Postpunkband The Ex. DJ/Rupture mischt Platten ineinander und Andy Moor spielt dazu Gitarre. Instrumentals, Gesangsspuren und Feldaufnahmen sind das Quellenmaterial, die Gitarre funkt dazwischen. Beide improvisieren. Auf den Plattentellern herrscht heilloses Durcheinander: R&B-Instrumentals, japanischer Extremlärm, ein elektronisches Poem von Edgar Varèse und Nachrichten aus dem Radio. DJ/Rupture unterscheidet nicht zwischen Musik und Geräusch. Sein Mix hebt die Hierarchien zwischen E und U, alt und neu, langsam und schnell auf. In ruckartigen Überblendungen macht er die verschiedenen Klangquellen deutlich.

DJ/Rupture & Andy Moor „Patches“ (Unsuitable/Rough Trade)

Ulknudel

Hamburgs DJ Koze (Stefan Kozalla) drückt mit seinen Remixen den Werken anderer Künstler einen Stempel auf. „Reincarnations“ ist bereits die zweite Werkschau mit Neubearbeitungen. Das Ausgangsmaterial (hier zum Beispiel Gudrun Guts „Kaltes klares Wasser“ oder „Elementary Lover“ aus der Feder des Texaners Matthew Dear) wird von Koze frei interpretiert. Für „Elementary Lover“ hat er charmante eigene Vocals eingesungen. Kozes Klangsignatur ist der rohe Produktionscharme des Hiphop anzuhören, den er früher gemacht hat. Bass und Drums sind Signalinstrumente, er bringt sie zum Wummern. Überdies zeichnen sich Koze-Bearbeitungen durch Augenzwinkern aus. Gelegentliches Stottern der Elektronik, durch Autotune verfremdete Piepsstimmen oder bewusst billiger Klang provozieren Hörgewohn- und -gewissheiten. Außerdem geht Koze immer wieder der Dramaturg auf dem Dancefloor durch, der den Spannungsfaden einer Nacht von zwei Seiten anzündet, um bei nächster Gelegenheit ab durch die Mitte zu preschen. Schließlich unterlässt es Koze auch, zwischen House und Techno zu unterscheiden. Im Zweifelsfall ist er in beiden Genres zu Hause und reklamiert das Beste dieser Welten für sich.

DJ Koze „Reincarnations – The Remix Chapter 2001–2009“ (Get Physical)

Seelenverwandter

Omar S gehört zur dritten Produzentengeneration des Detroit Techno. Das lässt der Künstler auf diesem speziell für die Londoner Diskothek „Fabric“ angefertigten DJ-Mix schon im Titel wissen: „Omar S – Detroit“. Der Mix besteht nur aus Edits eigener Tracks. Kein Größenwahn, das ist dem Underground geschuldet. Techno ist in Detroit Lokalkultur, und Verbindungen nach Übersee sind besser als in amerikanische Städte und ihre wackeligen Vertriebsstrukturen. Omars Maxisingles haben den Charme von Testpressungen, es sind mit Edding beschriftete DJ-Werkzeuge, der pure Stoff. Rein ökonomisch war es Omar S bislang unmöglich, eine Mix-CD auf dem eigenen Kleinstlabel FXHE zu veröffentlichen. Alex O. Smith, wie er bürgerlich heißt, ist durch und durch Detroit. Seine Familie ernährt er als Lagerist bei Ford. Florence Ballard, Sängerin der Supremes, war seine Tante. Der Neffe erzeugt mit seinen Keyboards und Rhythmusmaschinen elektronische Emotionen. Seine Musik wuchert und fräst. Auch in der kältesten Härte klingt eine Verwandtschaft zum Soul durch. Melodiebögen und Erzählstrukturen kommen aber aus der Welt der Videospiele und blinkenden Penny-Arkaden. Futurismus einmal anders. Wenn er einen Track macht, denkt er immer ans nächste Level, sagt Omar S.

Omar S – Detroit „Fabric 45“ (Fabric)

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