Neue Jobs ohne Gehalt

Unbezahlte Arbeit ja, Ausbeutung nein – Freiwilligen-Agenturen im Ruhrgebiet üben den sozialen Spagat

Ruhr taz ■ Vermittlungsbüros für freiwillige Tätigkeiten schießen seit zwei Jahren wie Pilze aus dem Boden. Essen und Duisburg haben eines, Bochum auch, Köln sogar ein Preisgekröntes. In Dortmund ist die Freiwilligen-Agentur vor einem halben Jahr gleich ganz nah an potenzielle Kunden herangezogen. Gut sichtbar sitzen die Vermittler ebenerdig in einem verglasten Büro des Rathausfoyers, mit modernster Technik gerüstet für alle, die unvergütet arbeiten wollen. Für alle, die herein kommen und sagen: „Ich will Gutes tun“ oder „Wo werde ich gebraucht?“ Zwischendurch kommen auch die, die entsetzt fragen: „Arbeiten ohne Geld, wer macht das denn?“

Rund 500 Interessierte kamen in den letzten sechs Monaten. „Freiwilligenarbeit ist in erster Linie Überzeugungsarbeit“, behauptet Mitarbeiter Marc Helbing. Doch das moderne „Vermittlungsgeschäft“ mit der Freiwilligkeit ist so eine Sache. „Mit dem Wort Ehrenamt lockt man keinen mehr, das ist zu traditionell“, sagt Helbing. In einer Großstadt herrschten andere Gesetze. Keine langen Bindungen, kurzfristigere individuelle Lösungen – das sei das Rezept. In der frisch entwickelten Vermittlungs-Software schlummern heute 390 Angebote. Vom Fahrdienst bis zum Aufbauhelfer in Bangladesch ist alles dabei. Das Telefon klingelt, ein Interessierter sagt gerade ab. „So ist das mit den Freiwilligen, die sind ganz schnell auch wieder weg“, Helbing bleibt ruhig. „Viele Kunden sind arbeitslos, überbrücken ihre Wartezeit mit einer unbezahlten Tätigkeit um nicht stehen zu bleiben“, sagt Peter Nixdorf, der in der Agentur auf freiwilliger Basis mit hilft. Er ist Uni-Absolvent und wartet auf ein bezahltes Jobangebot in Bereich Sozialarbeit. Pragmatische Gründe trieben die Kunden: Arbeitslosigkeit, Kinder aus dem Haus, neue Stadt, Einsamkeit. Freiwilligenarbeit sei auch mal ein wenig Verzweiflungsarbeit. Zur Zeit sind Vorlesen in Kindergärten und Fahrdienste für die Dortmunder Tafel besonders beliebt, sagt er.

„Viele Kommunen haben aus finanziellen Gründen die Freiwilligkeit zu einem zentralen Thema gemacht, aber Ausbeutung ist das hier nicht“, sagt Helbing und zieht eine Vermittlungsvereinbarung aus der Schublade. Darin sei die Arbeitsplatzneutralität festgelegt, die angebotene Tätigkeit dürfe vorher nicht als bezahlter Job existiert haben. Hundertprozentige Sicherheit habe er natürlich nie. Es sei eben insgesamt eine Gratwanderung. Auf der einen Seite müsse man endlich davon weg, dass immer alles über Geld definiert werde. Auf der anderen Seite öffne man auch Türen zur arbeiterfeindlichen Strukturen. Aber die Tür zu den „Ein-Euro-Jobs“, die werde die Freiwilligen-Agentur zu halten. „Das ist was anderes, wenn hier jemand aufgrund von Hartz IV-Zwängen auf der Matte steht“, sagt Helbing. Das habe mit Freiwilligkeit nichts mehr zu tun.

ALEXANDRA TRUDSLEV