Von den Rätseln der chinesischen Raumkapsel

Pekings Raumfahrttechnik stammt aus Russland. Im Westen ist dies seit langem ein offenes Geheimnis, doch in China will es keiner hören

BERLIN taz ■ Auch wenn die Führung in Peking das nicht gerne hört: Der erste Chinese war längst im All. Als Nutzlastspezialist flog der 1940 in Schanghai geborene Taylor Gun-Jin Wang 1985 auf einem US-amerikanischen Shuttle in den Weltraum. Allerdings besaß Wang bei seinem Shuttle-Flug schon seit zehn Jahren die US-Staatsbürgerschaft. Für China ist er deshalb auch nicht der erste Weltraum-Chinese.

Viel lieber als über den ersten Chinesen im All plaudern Chinas Raumfahrtwissenschaftler derzeit über dieses und jenes unwesentliche Detail des ersten bemannten Raumfluges, den sie aus eigener Kraft zustande bringen wollen. Und dies ist immerhin ein Fortschritt in sachen Glasnost. Denn bei den bisher vier Testflügen, die seit 1999 stattfanden, gab es zum Teil weder eine Startankündigung noch Fotos. Begleitet waren sie lediglich von vagen, nachträglichen Presseverlautbarungen.

Allein, es sieht nur nach Glasnost aus. Auch diesmal sind die Angaben zum Starttermin und zum Flugablauf eher spärlich. Über die Technologie des bemannten Raumfahrtprogramms ist immer noch nicht mehr zu erfahren, als etwa Geheimdienste mit Hilfe von hochauflösenden Satellitenaufnahmen herausfinden können. Die Geheimniskrämerei um Chinas Raumfahrtprogramm ähnelt der sowjetischen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren.

Was verdeckt werden soll, darüber spekulieren westliche Raumfahrtexperten seit langem. Die chinesische Technologie sei veraltet und zudem aus Russland, meinen die einen. Andere gehen davon aus, dass China wegen der militärischen Bedeutung seines Raumfahrtprogrammes keinen Blick in seine Raumkapseln und ins Raumfahrtzentrum erlaubt.

Die chinesische Führung beteuert, dass ihr bemanntes Raumfahrtprogramm ausschließlich in Eigenregie entwickelt wurde. Das darf getrost als Propaganda gelten. Alleingänge Chinas auf dem Weg der bemannten Raumfahrt in den Siebzigerjahren sind offenbar schon im Ansatz gescheitert. Dass die Russen Mitte der Neunzigerjahre zumindest Anschubhilfe geleistet haben, ist ein offenes Geheimnis.

Zwei der insgesamt 14 Chinesen, die für Raumflüge trainieren, haben ihre Ausbildung zum Teil in Russland absolviert. China soll von Russland auch eine Sojus-Kapsel oder zumindest deren Konstruktionspläne sowie russische Raumanzüge gekauft haben. Äußerlich ähneln die Shenzhou-Kapseln den russischen Sojus-Modellen, sind jedoch deutlich größer und bieten bis zu drei Personen Platz. Ein komplettes Shenzhou-Raumschiff besteht zudem nicht nur aus zwei Modulen, wie die frühen russischen Raumschiffe, sondern aus drei: einem Service- und Antriebsmodul, der Kapsel für die Besatzung sowie einem Orbitalmodul mit wissenschaftlicher Ausrüstung, das bis zu acht Monaten in einer erdnahen Umlaufbahn verbleiben kann. In diesem Modul ist auch militärische Aufklärungstechnik untergebracht, wie westliche Experten in Raumfahrtkommunikation nach den bisherigen Testflügen analysiert haben.

Wie viel Hilfe von außen China auch erhalten haben mag – inzwischen braucht es den Vergleich mit anderen nicht mehr zu scheuen. Die Erfahrungen seiner Raumfahrtwissenschaftler in der unbemannten Raumfahrt reichen zwar an die russischen, US-amerikanischen und europäischen nicht heran, aber China holt unbestritten auf. Seit einer schweren Pannenserie bei Raketenstarts 1996 gab es keine Unfälle mehr mit den Raketen vom Typ „Langer Marsch“, die auch Shenzhou ins All befördern. China hat mehr als zwei Dutzend Satelliten ins All geschossen, darunter auch US-amerikanische, und will sich einen festen Platz auf dem Satellitenstartmarkt erobern. Seit Mai dieses Jahres verfügt China über ein eigenes regionales satellitengestütztes Navigationssystem. Gelingt nun auch der bemannte Raumflug, kann China sich immerhin rühmen, ihn nach nur vier vorherigen Testflügen geschafft zu haben.

Für manche chinesischen Raumfahrtwissenschaftler scheint der Flug längst erfolgreich verlaufen zu sein. Sie verkünden schon seit Monaten noch größere Vorhaben: China will in den kommenden Jahren ein eigenes Weltraumteleskop bauen, in die Mondforschung einsteigen, eine bemannte Mondbasis bauen und schließlich zum Mars fliegen – noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. KENO VERSECK