Taikonauts Mondfahrt

Eine Frau auf dem Mond, das ist eine der ältesten Sehnsüchte Chinas. Daher ist die bemannte Raumfahrt so populär

aus Peking GEORG BLUME

Wenige Gründungslegenden des religionsgeschichtlich eher götterfernen Chinas haben sich so gut erhalten wie die Geschichte von Chang’es Flucht zum Mond. Bis heute entgeht kein Kindergartenkind zwischen Himalaya und Japanischem Meer der Geschichte von der Naturgöttin Chang’e und ihrem Hasen, die mit erbeuteten Wundermitteln für ein langes Leben die Erde verlassen.

So weit verbreitet ist die Legende, dass man auf der Welt kaum einem Chinesen begegnen wird, dem an einem klaren Vollmondtag nicht das Gesicht von Chang’e aus dem Himmel entgegenschaut. Eine vergleichbare Tradition ist im Westen nicht erhalten. Nur selten, wie bei dem berühmten Kinderbuchautor Eric Carle („Papa, bitte hol für mich den Mond vom Himmel“), kommen hier noch andere Mondvisionen vor als die rational-wissenschaftliche.

Man muss sich diese Kinderbuchebene der Mondfahrt vergegenwärtigen, um den enormen Aufwand zu verstehen, den China in diesen Tagen bei den letzten Vorbereitungen für seinen ersten bemannten Raumflug unternimmt. Zwischen Mittwoch und Freitag soll es so weit sein. Vom Weltraumbahnhof Jiuquan in der Wüste Gobi wird Chinas fünftes Raumschiff „Shenzhou V“ in den Orbit starten. An Bord soll sich der erste „Taikonaut“ befinden, wie die Chinesen ihre Weltraumfahrer nennen (taikon = Weltraum). Kommt er noch am Tag seines Abflugs heil auf die vorgesehene Landefläche im mongolischen Grasland zurück, wäre China nach Russland und den USA erst die dritte Nation, die Menschen sicher ins All befördern kann – mit dem erklärten Ziel einer Mondfahrt im Jahr 2010. Alle Chinesen warten auf den Tag, an dem der Erste der ihren im Schoße Chang’es landet.

Es geht also um nichts Geringeres als die Verwirklichung eines Volksmärchens, auf dessen medialer Vermarktung sich in der Volksrepubik niemand besser versteht als die Propagandazentralen der Kommunistischen Partei. Deshalb ist es auch gerade mucksmäuschenstill um die Raumfahrt im Land. Nicht einmal auf den Internetkanälen wird diskutiert, ob bei dem Testflug, der nur 14 Erdumkreisungen und wenige Stunden dauern soll, noch etwa schief gehen kann. Journalisten, die etwas von Raumfahrt verstehen, wird ausdrücklich die Informationsweitergabe an ausländische Kollegen untersagt. Nur einige ausgewählte Medien dürfen Bilder von der Raketenstation Jiuquan zeigen, wo „die Straßen von Lampen in der Form von Raketen und Raumschiffen gesäumt werden“, wie die Nachrichtenagentur Xinhua berichtet.

So soll die chinesische Öffentlichkeit von der Weltraumfähre, die auf den Namen „Göttliches Schiff“ getauft wurde, offenbar selbst in die Wolken befördert werden. Denn es gibt keinen Zweifel, dass nach einem geglückten Test ein Propagandasturm losbricht, der an die schlechtesten Zeiten kommunistischer Herrschaft über China erinnern wird. Zugleich könnte übersehen werden, dass das Pekinger Zentralkomitee in dieser Woche wichtige Reformen beschließt.

Allerdings geht man in China derzeit davon aus, dass es im Fernsehen keine Live-Übertragung geben wird. Stattdessen dürfte der Countdown mit geringer Zeitverzögerung ausgestrahlt werden, damit eventuelle Pannen propagandistisch geklittet werden können. Doch was auch immer geschieht – der Märchentraum darf nicht platzen. Weder in der Partei noch in den Medien sind grundsätzliche Zweifel am Zweck der Raumfahrt erlaubt. Denn der Einsatz ist groß und misst sich nicht in Geld. Selbst wenn westliche Experten behaupten, die Pekinger Regierung hätte mit bisher 2 Milliarden Dollar für sein bemanntes Raumfahrtprogramm viel mehr ausgegeben, als sie öffentlich einräumt, so wäre auch diese Summe gering in Anbetracht dessen, was politisch auf dem Spiel steht.

Die Kommunisten planen den Dreisprung: Olympia 2008, Weltausstellung 2010 und noch im gleichen Jahr die erste Mondlandung. Wobei auch nach dem Apollo-Rummel im Westen schwer vorstellbar ist, welche Bedeutung das Abenteuer Weltraum für die Chinesen haben wird. Weder Autos, Flugzeuge noch Schiffe chinesischer Bauart sind bisher besonders aufgefallen. Die Raketen vom Typ „Langer Marsch“ aber, die die Shenzhou-Missionen befördern, dürften bald in aller Welt bekannt sein. Sie könnten den Chinesen nach innen Selbstbewusstsein einflößen und nach außen wie ein Erkennungszeichen für Pekings Supermachtansprüche im 21. Jahrhundert wirken.

Zumal die USA bisher auf jeden außerirdischen Schritt Chinas empfindlich reagieren. Schon Anfang der 90er-Jahre sorgte Washington dafür, dass China nicht an der von 16 Nationen unterhaltenen Internationalen Weltraumstation (ISS) beteiligt wurde. Seit 1999 unterbinden die USA zudem, dass mit amerikanischer Technologie bestückte Satelliten von China aus gestartet werden. Das hat bereits die einst lukrative chinesische Industrie für Satellitenabschusstechnik zum Erliegen gebracht.

Auch hat sich die US-Regierung in Washington lange Zeit gegen den kürzlich zwischen Peking und Brüssel vereinbarten Einstieg Pekings in das europäische Satellitennavigationsprogramm Galileo gestemmt. Womit die chinesische Regierung ihrerseits zeigt, dass sie nicht nur an Alleingängen, sondern auch an internationalem Anschluss im Weltraum interessiert ist.

Doch wird sich Peking in der Raumfahrt von keinem Land Vorschriften machen lassen. Vor dem ersten bemannten Start wurden erst vier Raumkapseln getestet. Die USA starteten einst immerhin 17 Kapseln, bevor sie es wagten, den ersten Menschen ins All zu schießen. Das aber ängstigt in der Volksrepublik kaum jemanden. Eher träumt man vom Vollmond und Chang’e. Dabei sind sich die meisten mit ihrer Regierung einig, dass ihr Abenteuer Weltraum erst heute beginnt. Zwar sind die USA technologisch um einige Zeitalter voraus. Doch die nächsten Schritte auf dem Mond könnten chinesische sein.