Atemlos dicht

Vorstädtisch trostlos: „Port“ im Thalia in der Gaußstraße

Im vergangenen Jahr räumte der 26-jährige Regisseur David Bösch den ersten Preis im Wettbewerb Junge Regie der Körberstiftung ab. Seine Inszenierung von Simon Stephens‘ Port erntete jetzt im Thalia in der Gaußstraße Standing Ovations. Das ist enorm und wohlverdient. David Bösch setzt auf expressives Spiel. Anna Blomeier spielt Racheal, Michael von Burg ihren kleinen Bruder Billy mit einer großen Dynamik. Die Geschwister versuchen klarzukommen mit ihrem saufenden Vater (Stephan Schad) und damit, dass ihre Mutter (Heidi Züger) die Familie verlässt und der geliebte Opa stirbt.

Bösch zeigt dabei das Wesentliche: Opas Elektro-Kardiogramm auf der Leinwand hinten im Bühnenraum; die Geschwister hocken verstört auf einem Autositz, mal wieder draußen vor der Tür. Racheal stiert Löcher in den Boden, während Billy mit einem Karatetritt den Fanta-Automaten traktiert.

Tragisch ist dieser Alltagswahnsinn in der Plattenbauprovinz Stockport. Armselig ist das, aber nie sentimental. Denn die Kinder bauen sich parallel zur Tristesse ihre Traumwelt, hopsen auf den Autositzen, Billy mit Mickey-Mouse-Hausschuhen, Racheal mit roten Zopfspangen. Dschungelbuch läuft auf der Leinwand, die eben noch mit Opas schwächelndem EKG drohte, Louis Armstrong singt „Wonderful World“.

Dicht inszeniert Bösch dieses Kaleidoskop aus Illusion und Realität. Die Kinder wirbeln darin mit. Zum Beispiel Billy, der einen braunen Stoffaffen an die Brust drückt. Dann ballert er plötzlich mit der Vehemenz eines ADS-Jungen mit imaginären Pistolen um sich, klaut Fanta, um seinen Vater zu beeindrucken.

Racheal und Billy altern in dem atemlosen Stück um 14 Jahre. Plötzlich landet Billy im Knast. Und Racheal sitzt verheiratet auf einem kahlen Ehebett. Ihr Gatte (auch Stephan Schad) säuft und schlägt, beschimpft sie als „Scheißnutte“ – wie ihr Vater. Bösch inszeniert Racheal und Billy als typische Jugendliche mit Macken und Träumen. Brutal und dabei liebenswert, humorvoll und verzweifelt. Mit minimaler Requisite, in hervorragender Besetzung. Katrin Jäger

Weitere Vorstellungen: 23.–25.9., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße