: Pop als Waffe
Am Schauspielhaus Hamburg inszeniert Stephan Pucher den „Othello“ als Machtkampf zweier Selbstdarsteller mit den Mitteln des Entertainments
VON TILL BRIEGLEB
Der intelligente mitteleuropäische Mann ist nicht rassistisch. Es mag zwar sein, dass er aus niederen Motiven heraus Schwarzen, Frauen, Indern, Schwulen oder Linkshändern den Aufstieg in jene privilegierten Schichten neidet, in denen er sich selbst bewegt. Deshalb muss er weder Rassismus noch chauvinistische Ressentiments bemühen; er weiß ja, dass die anderen den eigenen Job genau so gut könnten. Rassismus? Das ist doch etwas für dumpfe Proleten, Islamisten oder amerikanische Rednecks.
Genau aus diesem Grund aber gilt ein Satz wie „Ich hasse den Schwarzen aus ganzem Herzen“ in der EU auch nicht als rassistische Aussage. Das Wort „Schwarzer“ wird hier als völlig neutrale Bezeichnung gebraucht, und die Gründe des Hasses auf den anderen sind rein karrieristischer Manier, sie haben mit Othellos Hautfarbe aber auch rein gar nichts zu tun. Gut, wenn man es mit so primitiven Naturen wie Roderigo und Cassio zu tun hat, dann kann der Intrigant schon mal die Neger-Karte spielen, um ihre Gefühle ein wenig formbarer zu machen – aber natürlich nur mit einem Augenzwinkern zum Publikum: Sie verstehen halt keine andere Sprache.
So ist Jago in Stefan Puchers Inszenierung von Shakespeares „Othello“ am Schauspielhaus in Hamburg: Ein fernsehtauglicher Unternehmensberater in eigener Sache vom Zuschnitt slicker Unmoral. Stets beherrscht und aalglatt lächelnd, zeigt Wolfram Koch ein weiteres Mal, warum dieses Stück eigentlich „Jago“ heißen müsste. Denn die Figur des eigensüchtigen Ränkeschmieds lässt sich solange wandeln und für die Gegenwart neu erfinden, wie der Kapitalismus aus Neid und Gier beschleunigt wird: nach aktuellen Prognosen also noch ziemlich lange.
Dass Othello da noch schwarz sein muss, ist eigentlich nicht mehr hinreichend. Deswegen lässt man heute Shakespeares Mohr ja auch gerne mal weiß sein oder benützt ihn, wie Pucher, als Leinwand für die „Neger“-Stereotype der Unterhaltungsindustrie. Alexander Scheer beginnt seine aberwitzigen Othello-Verwandlungen mit Al Jolson als „The Jazz Singer“, jenem Weißen, der im ersten kommerziellen Tonfilm dem Schwarzen als Groteske seine Stimme lieh. Dann folgen die „Sexmachine“ James Brown, der „Größte“ Muhammad Ali und schließlich verschiedene Crossdressings, die die Tradition geschlechtlicher Ambiguität schwarzer Künstler – von Little Richard bis Dennis Rodman – bezeichnen.
Aber auch Jago ist ein Produkt jenes Medienkapitalismus, der Krieg, Lüge und Grauen an die Unterhaltungsbedürfnisse gewöhnt hat. Wolfram Koch unterhält sich die meiste Zeit mit dem Publikum, gewinnt als Conferencier der eigenen Intrigen die Lacher für sich und zeigt damit, wie moderne Demagogen mit der Wahrheit hantieren.
In der schillernden biomorphen Glamourwelt, die Barbara Ehnes auf die Drehbühne gestellt hat, und untermalt von eindrücklichen Videosequenzen, die das Geschehen mal vergrößern, mal Szenen aus der Probenphase einspielen oder mit dramatischen Schnitten Kriegsgeschehen illustrieren, kämpfen zwei politische Showmaster um das erfolgreichere Konzept der Selbstdarstellung. Othello macht sich mit der schärfsten Braut und den geilsten Auftritten die Menschen gefügig, Jago mit zynischer Intelligenz.
Dieser Machtkampf mit den Mitteln des Entertainments, der bereits in den letzten Züricher Pucher-Inszenierungen von „Richard III.“ und der „Orestie“ eine zentrale Rolle gespielt hat, wird hier überzeugend entwickelt, weil Pucher auf drastische Überzeichnungen verzichtet. Er bedient sich aus dem Fundus der Popgeschichte und hat mit Scheer und Koch zwei Schauspieler, deren Selbstmarketing die nötige Verführungskraft besitzt. Die rassischen Stereotype, auf die hier offen zurückgegriffen wird, entbinden sich durch sehr feine Ironie des Verdachts, Wesentliches zu benennen. Wenn der schwarze Scheer zu Eminems „Lose Yourself“ in eifersüchtiger Raserei über einen Affenfelsen turnt, während Koch überlegen lächelnd das Schauspiel beobachtet, dann gewinnt Pucher hier erfolgreich Ambivalenz aus Klischees: ohne ihre Existenz zu leugnen, verlieren sie in der sanften Überzeichnung ihren Ernst.
Pop ist in diesem politischen Schauspiel nur eine Waffe für die eigene Machtpolitik. Zwei Männer, die sich selbst genug sind, benutzen beide den Glamour als Systemeigenschaft. Deswegen kann am Ende auch keine Rede von Schuld sein. Nachdem Desdemona (Jana Schultz) der männlichen Eitelkeit geopfert ist, geht Jago ungebrochen ab mit dem Satz „Ich blute, Herr, aber ich lebe noch“, und Othello im Goldpailletten-Anzug singt letztlich ungerührt von der toten Liebe James Browns nüchterne kapitalistische Grundweisheit: „Pay the cause to be the boss.“
Pucher zeigt hier überzeugend und lustvoll, wie zeitgenössisches Theater gegenüber der Vätergeneration an Größe gewinnt: indem es die Schuldproblematik aufgibt, ohne den skeptischen Blick für Motive und Interessen zu verlieren. Rassismus, Egoismus, Hass und popkulturelle Maskerade von Verbrechen werden in dem Bogen von subtil bis brachial dargestellt, den die Motive bis zur Gewalttat durchlaufen.
Trotzdem kann das Resümee optimistisch sein: denn während man den mörderischen Schaukampf verfolgt, gewinnt man nie den Eindruck, dass dieser Weg zwangsläufig verlaufen muss. Politik, so der realistische Tenor dieser Inszenierung, besteht aus menschlichen Entscheidungen, die man sehen, kritisieren und ändern kann. Schicksal ist nur eine Ausrede.
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