Tod im Flugzeug in Brüssel vor Gericht

Semira Adamu aus Nigeria starb bei ihrer Abschiebung unter den Händen von Polizisten. Die drehten auch ein Video

BRÜSSEL taz ■ Der Videofilm zeigt drei korpulente Männer. Einer grinst in die Kamera, als sie gemeinsam den Kopf von Semira Adamu in ein Kissen drücken und ihr dabei eine Armlehne des Passagiersitzes tief in den Bauch quetschen. Die Sabena-Maschine auf dem Brüsseler Flughafen Zaventem ist startklar. Später wird es heißen, die Armlehne sei schon vor dem Einsteigen kaputt gewesen.

Im Saal der 46. Kammer des Brüsseler Justizpalastes ist das Licht abgedunkel. Die Bilder von sechs kräftigen Oberarmen flimmern über den Schirm und lassen keinen Zweifel: Die 20-jährige Nigerianerin im langen bunten Pullover und kurzem Rock wird ersticken. Hier stirbt ein Mensch.

Mit jeder Minute blicken die im Gerichtssaal Anwesenden fassungsloser auf den Video-Schirm. „Was ich hier sehe, ist, dass diese Männer sie töten“, sagt einer. Bis zuletzt hatten die Angeklagten verhindern wollen, dass das Video gezeigt wird. Fünf Jahre hatte es unter Verschluss gelegen, seit jenem Tag, als die drei belgischen Polizisten über Semira Adamu herfielen. Nun legt das Gericht ihnen vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge zur Last. Auch zwei vorgesetzte Offiziere sind wegen untätigen Zuschauens angeklagt. Die letzten Plädoyers werden gesprochen. Bei dem Urteil, das heute erwartet wird, wird mit Bewährungsstrafen gerechnet.

Pierre Marissal, Wissenschaftler an der Freien Universität Brüssel, kann das nicht fassen. Er hat den Prozess verfolgt, die Männer beobachtet, die gegenüber den Familienangehörigen von Adamu kein Wort der Reue fänden, kein Schuldgefühl zeigten.

In Brüssel geht ein Skandal zu Ende, der am 22. September 1998 bei den Belgiern erst einen Schock, dann eine Regierungskrise auslöste und zum Rücktritt von Innenminister Louis Tobback führte. Doch bis heute fehlen acht Minuten von dem Videofilm – acht Minuten Wahrheit.

Semira Adamu war mit Handfesseln in die startbereite Sabena-Maschine gebracht worden, wie auf dem Film zu sehen ist. Sie hatte gesungen, immer lauter. So, wie es ihr das „Komitee gegen Abschiebung“ und die Ärztin und Nobelpreisträgerin Lise Thiry als Ausdruck des Protests empfohlen hatte. Es war der sechste Versuch, die Nigerianerin aus Belgien abzuschieben. Wie ihr Onkel, Gabriel Adamu, vor der Kammer aussagte, wollte sie sich einer Zwangsheirat mit einem Nigerianer entziehen.

Der Film bricht ab, als Semira Adamu verstummt und sich nicht mehr regt. Es sei die leere Batterie gewesen, beteuert der filmende Beamte. Der Richter hielt das für schlüssig, nicht aber die Kläger, deren Anwältin, Hein Diependaele, sich wunderte, dass die Kamera nach acht Minuten wieder lief. Ein technischer Defekt sei es gewesen, so der Beamte, der sich dann nochmals verbesserte und sagte, er habe wegen einigen Flugpassagieren unterbrechen müssen. Als die Kamera wieder läuft, zeigt das Video, wie mit Kölnisch Wasser hantiert wird. Wegen des Geruchs. Eine Klage gegen den Filmer wegen unterlassener Hilfeleistung wurde bereits abgewiesen. PETER SENNEKAMP