Iraker greifen Iraker an

Mit der Entführung von 18 Nationalgardisten sollen Mitarbeiter des radikalen Schiitenpredigers al-Sadr freigepresst werden. Sunnitischer Geistlicher ermordet. Überlegungen zum Schutz der Polizeianwärter vor Selbstmordanschlägen

VON ANTJE BAUER

Mit der irakischen Interimsregierung zusammenzuarbeiten oder auch nur Verhandlungen mit Geiselnehmern zu führen, wird für Iraker zunehmend lebensgefährlich. So wurde am Sonntagabend in Bagdad der sunnitische Geistliche Hasem al-Seidi erschossen, ein Angehöriger der „Vereinigung muslimischer Gelehrter“, die mehrfach zwischen Geiselnehmern und ausländischen Regierungen verhandelt hatte.

Ebenfalls am Sonntag wurden 18 Mitglieder der irakischen Nationalgarde entführt. Informationen des qatarischen Fernsehsenders al-Dschasira zufolge drohten die Entführer im Namen einer bislang unbekannten Gruppe namens „Brigaden von Muhammed bin Abdullah“ mit der Ermordung der Geiseln, solle Hasem al-Aradji, ein Mitarbeiter des radikalen schiitischen Predigers Muktada al-Sadr, nicht freigelassen werden. Al Aradji war am Sonntagmorgen in Bagdad festgenommen worden.

Insgesamt sind 700 irakische Polizisten und Rekrutenanwärter seit dem Sturz Saddam Husseins im April 2003 umgekommen, die Mehrheit von ihnen durch Selbstmordattentate. Die Gruppe „Ansar al-Sunna“ veröffentlichte unterdessen ein Video mit der Enthauptung dreier irakischer Kurden, die Mitglieder der „verräterischen“ Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) gewesen seien.

Vor allem die sich häufenden Angriffe auf Polizeianwärter treffen bei der irakischen und der US-Regierung eine Schwachstelle. Ministerpräsident Ijad Allawi hatte am Wochenende bei einem Besuch in Großbritannien erneut versichert, am Termin der Parlamentswahlen für den Januar 2005 festzuhalten.

Die USA hatten zuvor angekündigt, bis Jahresende die aufständischen Städte wie Falludscha und Ramadi wieder in ihre Gewalt bringen zu wollen, um dort die Durchführung der Wahlen gewährleisten zu können. Dafür wollen sie sich aber zunehmend auf irakische Sicherheitskräfte stützen. Nicht nur, weil bereits mehr als 1.000 US-Soldaten im Irak ihr Leben verloren haben, sondern auch, um Iraks Regierung zu stärken und den Aktionen der Aufständischen den Nimbus des Befreiungskampfes zu nehmen. Deshalb widmete die US-Regierung letzte Woche 18,4 Milliarden Dollar, die für den Wiederaufbau gedacht waren, zur Ausbildung weiterer irakischer Sicherheitskräfte um.

Insgesamt sollen 260.000 Iraker als Nationalgardisten und Soldaten und 132.000 zu Polizisten ausgebildet werden. Bislang waren die Erfolge eher mäßig: Sowohl bei den jüngsten Kämpfen um die Schiitenstadt Nadschaf als auch um die Hochburg der Saddam-Anhänger Falludscha sind zahlreiche irakische Soldaten auf die Seite der Aufständischen übergelaufen.

Ministerpräsident Allawi setzt dennoch auf eine möglichst schnelle Stärkung der irakischen Truppen und einen sukzessiven Rückzug der ausländischen Soldaten. Laut US-Generalstabschef Richard Myers werden die irakischen Truppen jedoch erst gegen Jahresende fähig sein, sich an Angriffen auf Rebellenhochburgen zu beteiligen und hinterher das Terrain zu sichern.

Trotz der zunehmenden Zahl und Brutalität der Anschläge scheint es an Anwärtern für den Polizeidienst und die Armee nicht zu mangeln. Während die US-Armee dieses Phänomen Zeitungsberichten zufolge auf eine positive Einstellung zum politischen Prozess im Irak zurückführt, berichten Korrespondenten von einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit von etwa 50 Prozent, die die Iraker selbst die Gefahr eines Jobs als Polizist oder Soldat in Kauf nehmen ließe.

Inzwischen wird auch überlegt, wie die Anwärter aus der Schusslinie gebracht werden können. Rekrutierungsanwärter sind insofern einer besonders hohen Gefahr ausgesetzt, als sie in der Regel vor den Rekrutierungszentren im Freien Schlange stehen müssen. Die Angst vor Selbstmordattentätern hat die Behörden bislang bewogen, den Wartenden keinen Zugang zu den Rekrutierungsstellen zu gewähren.