Tante Emma wird global

Ob teure Feinkostläden oder von Einwanderern betriebene Lebensmittelgeschäfte für kleine Geldbeutel: Ausgefallene Zutaten gibt es in Nischen, da kann selbst das KaDeWe oft nicht mithalten

VON LISA SHOEMAKER

Als meine Familie Ende der 60er-Jahre „hinter“ den Eisernen Vorhang zog, holte man noch mit dem Kännchen die Milch, und das nicht etwa in einem ländlichen Vorort, sondern in der Charlottenburger Mommsenstraße. Und Schultheiß lieferte das Bier noch mit der Pferdekutsche aus. Exotisch war für meine Mitschüler, wenn ich ihnen Stullen mit Erdnussbutter aus der Commissary, dem amerikanischen Armee-Supermarkt, schmierte oder ein Gemüse aus dem Gefrierschrank servierte, dessen Name meine Münchner Mutter schulterzuckend mit Grünkohl übersetzte, obwohl Brokkoli auf der Packung stand.

Als Obstbeauftragte der Familie bekam ich in den 1970ern von unserer Gemüsehändlerin oft eine große, haarige Beere aus Neuseeland geschenkt, Luxus pur, schließlich kostete eine Kiwi damals 1 Mark. Anfang der 1980er kam Pia, eine Austauschstudentin aus Sizilien, die mir beibrachte, Pesto zu machen, mit Basilikum, das den Weg aus dem trockenen Gewürzregal in die Frischeabteilung gefunden hatte, und Pinienkernen, für die man ins KaDeWe fahren musste.

Ab dem Zeitpunkt war der sechste Stock des KaDeWe meine Kathedrale, die geheiligten Hallen, wo es alles gab. Gut, auch Wertheim führte Pinienkerne, billiger in Plastiktütchen verpackt, aber die schmeckten ranzig. Im KaDeWe am Trockenfrüchtestand gab es sie frisch und lose. New Yorker Freunde waren beeindruckt, mochte auch die Präsentation der Waren bei Harrod’s in London schöner sein, die Auswahl im KaDeWe war unübertroffen.

Doch im Zuge zunehmender Globalisierung werden auch die Wünsche immer ausgefallener, und dabei versagt selbst das KaDeWe. So überreichte mir eine estnische Freundin russisch-tartarischer Abstammung vor einigen Jahren Pizzoccheri, Buchweizenbandnudeln aus dem Valtellina. Beim Versuch, sie nachzukaufen, zog ich eine Niete.

Auch die Suche nach marokkanischen Salzzitronen für eine Tagine mit Huhn und Oliven war vergebens. Türkische Geschäfte führen frischen Yufkateig für Börek und Granatapfelsirup für Kisir (Bulgursalat), in afrikanischen Läden ist Maniok zu haben, aber mit Nordafrika haben alle nichts am Hut. Bei Yalda Trockenfrüchte in der Marheinekehalle gibt es federleichte, getrocknete Limetten, der iranische Betreiber reicht auch gern persische Rezepte, wenn man mal nichts anzufangen weiß mit Berberitzen oder getrockneten Sauerkirschen.

Außer den Gemüsehändlern haben weder die Tante-Emma-Läden noch die Fleischereien meiner Charlottenburger Kindheit überlebt. Zunächst sind sie Boutiquen gewichen, kehren aber inzwischen in der Gestalt von Feinkostläden zurück. Und in preisgünstigeren Lagen haben sich Lebensmittelgeschäfte aus aller Welt etabliert.

Während italienische Feinkostgeschäfte oder französische Käseläden den Geschmack einer weitgereisten, betuchten Klientel bedienen, richten sich asiatische oder afrikanische Märkte in erster Linie an ihre Landsleute. Dennoch sind sie pragmatisch, so führen Vietnamesen auch indische Gewürzpasten und Chutneys, und Inder verkaufen gefrorene Wonton-Hüllen, um ihre westliche Kundschaft zufriedenzustellen. Trotz ihrer Schlichtheit wirken sie lebendig. So wird man beim Betreten von Vinh Loi, einem Asiensupermarkt in der Ansbacherstraße, von einem Altar mit Buddha begrüßt und kann Frauen dabei beobachten, wie sie welke Blätter vom Kohl entfernen und den Koriander durchsortieren und neu verpacken. Arbeiten, die in deutschen Märkten diskret im Hinterzimmer stattfinden.

Als Anfang Februar im KaDeWe marokkanische Wochen ausgerufen wurden, eilte ich hin. Zur Auswahl standen Gewürzmischungen, Arganöl, das zwar noch nicht beim Discounter, dafür in jedem Bioladen zu finden ist, oder auch Aprikosenmarmelade im folkloristischen Gewand. Salzzitronen? Zu spät, die waren sofort ausverkauft. Werden sie nachbestellt? Nein.

Bleibt nur das Selbermachen. Zitronen vierteln, reichlich Salz darüber streuen, in ein Glas mit Schraubverschluss füllen, andrücken und mit einer weiteren Lage Salz bedecken. Ab in den Kühlschrank. Hält sich monatelang. Und die Pizzoccheri gehen auch ohne Nudelmaschine. Buchweizen und Weizenmehl im Verhältnis 3:1 mischen, traditionell nur mit Wasser, moderner auch mit Ei und/oder Milch mischen, daraus geschmeidigen Teig kneten, dünn ausrollen, mit etwas Mehl bestäuben, aufrollen: fingerdicke Nudeln schneiden.