Zurück in die Zukunft

Die „Kulturgeschichte der deutschen Küche“ behauptet zwar nicht, dass früher alles besser gewesen sei. Doch das Buch macht Lust auf vergessene kulinarische Genüsse, die auch heute Appetit machen. Anekdoten und Rezepte sind gut abgeschmeckt

Die Engländer haben die Deutschen zwar pauschal mit dem Kosenamen „krauts“ belegt. Und auch hierzulande wird Sauerkraut als das deutsche Grundnahrungsmittel betrachtet. Doch Peter korrigiert in seiner „Kulturgeschichte der deutschen Küche“ auch diesen Mythos: „Denn erstens essen statistisch Franzosen deutlich mehr (und deutlich besseres!) Sauerkraut als wir Deutschen, und zweitens ist die scheinbare deutsche Nationalspeise eine mongolische Erfindung.“ Erst die Sauerkraut-Manufakturen des 19. Jahrhunderts begründeten den deutschen Mythos (im großen Stil eingedost wurde erst ab 1920). Immerhin gebe es, so Peter, in Sachen „bodenständiger Finesse“ einiges wiederzuentdecken. Etwa in einem Appetit-Lexikon von 1894:

„Der in Bouillon gedämpfte, mit etwas Soya und Zucker sowie mit Butter gebratenen Kastanien … vermengte und mit Mettwurst, Bratwurst oder Gänspökelfleisch belegte lange Kohl der Niedersachsen ist ein Festtagsgericht.“

VON LARS KLAASSEN

„Was die Bewirtung betrifft, treiben die Deutschen einen beträchtlichen Aufwand, und sie bringen die Gerichte in einer solchen Abwechslung und Reichhaltigkeit auf den Tisch, und in guten Gasthäusern von solchem Wohlgeschmack, dass man die Küche des französischen Adels gar nicht damit vergleichen kann.“ Im Jahre 1580, als Michel de Montaigne dies in sein Reisetagebuch notierte, war die hiesige Küche offensichtlich noch in Ordnung. Das sollte sich später leider ändern. Allzu lang ist es noch nicht her, dass es mit dem kulinarischen Ruf der Deutschen nicht zum Besten stand – und zwar für eine beträchtliche Dauer. Die Symptome: Zu fettig und schwer, zu sparsam und unfrisch haben deutsche Gaststätten jahrzehntelang aufgekocht und mit blumigen Bezeichnungen wie Winzersteak, Zigeunerschnitzel und Gutsherrentopf ihre fragwürdigen Kreationen schönzureden versucht. In den Privathaushalten wurden gern Dosen aufgemacht und alles mit Mondamin verdickt.

Mittlerweile ist Besserung eingetreten. Wochenmärkte von Hamburg bis München bieten eine Fülle regionaler Produkte, es gibt Biofleisch und Prädikatsriesling, artgerecht aufgezogenes Geflügel und traditionelle Kartoffelsorten. Ein Gang durch die Jahrhunderte zeigt, dass gute deutsche Küche mehr war als Kraut und Rüben. Das Bewusstsein, dass die deutsche Küche auch fein, edel und erlesen sein kann, kehrt allmählich zurück: Königsberger Klopse aus Kalbfleisch mit liparischen Kapern, Aal grün in Estragonsauce, Bremer Stubenküken oder ein echtes Leipziger Allerlei mit Morcheln und Flusskrebsen sind eben keine Hausmannskost.

Eine weitere erfreuliche Neuigkeit: Die gute alte deutsche Küche lässt sich mit vielen überraschenden Perspektiven wieder neu entdecken. Den Weg weist Peter Peter: Mitglied der deutschen Akademie für Kulinaristik, Dozent an der Università di Scienze Gastronomiche (Pollenzo/Colorno) sowie Restaurantkritiker. Er entwirft kulinarische Reisen und hat zahlreiche kunst- und kulturhistorische Bücher sowie Restaurantführer verfasst. Nun hat der Autor die Geschichte der deutschen Küche durch die Jahrhunderte verfolgt: von der Zeit der Germanen über die glanzvolle Kochkunst im späten Mittelalter und den Niedergang der bürgerlichen Küche – bis hin zur Renaissance der deutschen Küche in den letzten Jahren. Zwar hat der Feinschmecker noch im Jahr 2007 nach einem Blick auf deutsche Spitzenrestaurants sarkastisch konstatiert: „Das deutsche Nationalgericht ist mediterran.“ Doch Peter kann von seiner Entdeckungsreise ganz anderes berichten: „Es gibt eine einheimische Küche jenseits des Klischees von Rüben und Kartoffeln, von Eisbein, Fischstäbchen oder Wackelpeter.“

Das Augenmerk des Buches gilt dem Guten, Wahren und Schönen: Texte wie das Lübecker Gastmahl im Salon der Buddenbrooks oder Uhlands Genussgedicht vom „besten Becher besten Weins in purem Golde“ ermutigten Peter, „eine Lanze für regionale Hochküche zu brechen, ohne die Schmackhaftigkeit sorgfältiger Alltagskost zu unterschätzen“. Sein Fazit: „Konsequente deutsche Küche ist eben nicht nur fürs hausbackene Ausgedinge, sondern gerade wegen ihrer jahrzehntelangen Vernachlässigung rar, modern, zeitgeistig, ja geradezu avantgardistisch.“ Deutschland ist nicht nur dank der Vielfalt seiner Regionalküchen eine der spannendsten kulinarischen Nationen. Auch die Überlieferungen interessanter alter Rezepte verlocken dazu, sich lesend oder kochend auf eine Reise durch Zeit und Raum zu begeben. Gerade hier ist Peter fündig geworden: Gut die Hälfte des europäischen Gesamtbestandes mittelalterlicher Kochbuchtexte wurde im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verfasst. Die Nürnberger Kuchenmaystrey von 1485, das erste gedruckte deutsche Kochbuch, war die erfolgreichste Rezeptsammlung der Renaissance. Dass in Peters Kulturgeschichte nun das best of der Vergangenheit zur Wiederentdeckung versammelt wurde, macht Appetit auf die Zukunft der deutschen Küche.

Peter Peter: „Kulturgeschichte der deutschen Küche“. 256 Seiten mit 191 Abbildungen sowie zahlreichen Rezepten, Halbleinen. Verlag C. H. Beck, München 2008, 19,90 €