piwik no script img

Der schwierige Weg in die Freiheit

taz-Serie „Islam in Berlin“ (Teil 2): Emel Algan ist Vorsitzende des Islamischen Frauenvereins, Tochter eines Mitbegründers von „Milli Görüș“, Frau eines Mitglieds der „Islamischen Föderation“, sechsfache Mutter. „Und da bin auch noch ich, Emel, selbst“

VON WALTRAUD SCHWAB

Emel Algan hat die Freiheit entdeckt. „Ungefähr vor einem Jahr war das“, meint die Vorsitzende des Islamischen Frauenvereins. Es fing an, als sie die Familienkarosse eintauschte gegen einen Mini Cooper. Schwarz ist er, innen holzverkleidet. Algan legt eine Kassette mit irischer Musik ein und fährt von ihrem Reihenhaus am Stadtrand in Rudow zur Kita nach Kreuzberg, zu ihrer Hutmacherin nach Charlottenburg, zum Verein in die Graefestraße. Nun gut, hin und wieder ist auch mal die Familie damit unterwegs. Von ihren sechs Kindern sind nur noch drei zu Hause. In die Moschee fährt die 43-Jährige nicht.

Islam und Freiheit – das muss kein Widerspruch sein, wie fortschrittliche muslimische Denkerinnen oft betonen. Bei Emel Algan ist es komplizierter. Die Berlinerin ist keiner laizistischen oder modernen Glaubensvorstellung verpflichtet, die Religiosität nur als persönliche Angelegenheit versteht. Bei jenem Islam, der Algan prägte, ist Glaube mit Kontrolle verknüpft. Vor allem was Frauen betrifft, wird aus der Kontrolle gar Unterwerfung. Unterwirft sich die Frau, ist sie eine gute Muslimin. Eine bessere als die anderen. Das ist die Bruchstelle, die bei Algan nicht mehr hält. Denn sie will nur noch eine Gläubige sein. Keine, die gut oder besser ist.

Emel Algan ist Tochter des Arztes und Milli-Görüș-Gründers Jusuf Zeynel Abidin. Qua Geburt gehört sie damit zu einer Gemeinschaft, die den Islam als eine Religion mit Machtanspruch versteht. Emel ist eine Vatertochter; sie liebt den Patriarchen, der 1986 stirbt. Von ihm fühlt sie sich erkannt und angenommen. Sich allerdings seinem Willen zu widersetzen, wäre ihr wie Verrat vorgekommen. Selbst als er, kurz nach Emels Abitur, für sie und ihre Schwester – die beiden sind Abidins einzige Kinder – Ehen mit dem Brüderpaar Algan arrangiert, begehrt die Erstgeborene nicht auf. „Ich habe Tradition nicht infrage gestellt.“

Wird sie heute auf Yusuf Zeynel Abidin und Milli Görüș angesprochen, beschwichtigt sie: „Mein Vater wollte eine Vertretung der Muslime in Deutschland gründen.“ Später habe man ihn innerhalb des Vereins entmachtet. Wegen seiner arabischen Herkunft, meint sie. Später – das war die Zeit, in der Milli Görüș mit antidemokratischen Ideen in Zusammenhang gebracht wurde. Ihr Vater sei ein ganz anderer gewesen.

Der Mini Cooper, der kommt 24 Jahre danach indes als Schritt gegen den Vater daher: „Was für ein Auto möchtest du?“, fragte er, als sie den Führerschein machte. „So einen Kleinen“, meinte Algan. „Das ist kein Wagen für eine Abidin“, sagte er. Nun ist er es doch.

Algan hat Anglistik, Erziehungs- und Islamwissenschaften studiert. „Arabisch IV hab ich bestanden, da war ich im achten Monat schwanger mit dem Fünften.“ Abgeschlossen hat sie das Studium dennoch nicht, wegen der Familie. Heute findet sie, dass man mit 20 zu jung ist für Kinder. Zu jung zum Erziehen. „Es stimmt auch nicht, dass Eheleute mit jedem Kind enger zusammenwachsen, wie damals mein Mann behauptete.“ Algan war aber gerne schwanger. „Ich war süchtig danach, das Wunder des Lebens zu erleben.“ Das Einzige, was sie bedauert: „Dass ich mich wegen der Familie selbst so lange aus dem Blick verlor.“

Seit der Kopftuchdebatte ist Emel Algan ein gefragter Podiumsgast. Weil sie hier aufgewachsen ist und sich auskennt, will sie und soll sie vermitteln. Erwartet wird von Seiten der Muslime, dass sie klar macht: Kopftuch und Selbstbestimmung gehen zusammen. Umgekehrt wird sie von deutscher Seite als Vorsitzende des Islamischen Frauenvereins, der mittlerweile vier Kitas in Berlin betreibt, zu Kopftuchdebatten eingeladen, um die strengen Kleidervorschriften für Frauen zu verteidigen. Gehofft wird, dass sie Stellung bezieht, dass sie etwas sagt, dem widersprochen werden kann. Etwa so: „Frau Algan, bedenken Sie, Sie leben in Deutschland!“ Oder: „Bei uns gilt: Religionsfreiheit ja, Missionieren nein. Anerkennung der fremden Kultur ja, Unterdrückung der Frau nein.“ Algan nickt. Dann sagt sie: „Der Islam unterdrückt Frauen nicht. Er ermahnt und gibt Empfehlungen. Allah ist kein zorniger Gott. Ich bin Deutsche.“ Gespräche dieser Art bleiben mit Algan auf halbem Weg stecken, weil sie keine Projektionsfläche sein will. Sie träumt sich aus dem Weg.

Einer ihrer Träume hat sie in den Laden der Hutmacherin Susanne Gäbel geführt, denn der Koran verlange nicht, dass Frauen wie Vogelscheuchen aussähen, und das Kopftuch sei nun wirklich kein Hit. Algan hat verstanden: Wenn das Kopftuch zu einem Politikum wird – und durch die Verbote ist es zu einem geworden –, dann steht die Definitionsmacht auf dem Spiel. Deshalb plädiert sie dafür, die Bedeckung des weiblichen Hauptes als Kopfschmuck zu bezeichnen. Die Hutmacherin hat raffinierte Mischungen aus Kappen, Hüten und Tüchern für sie entwickelt. Versteckt hinterm Spiegel testet Algan sie aus. In Begleitung nur von Frauen nimmt sie ihren Kopfputz auch mal ab und fährt sich mit den Fingern durch die dunkelbraunen Haare. „Ich will zeigen, dass Bedeckung Spaß machen kann.“ Wem sie es zeigen will, bleibt unklar.

„Ich bin gottgläubig, aber ich nehme mir das Recht auf meinen persönlichen Zugang zur göttlichen Offenbarung“, sagt Algan. Eigentlich sei das innerhalb des strengen Islam, dem sie verpflichtet ist, bereits verboten, denn zwischen der Offenbarung und dem Menschen gibt es die Gelehrten, die sagen, was wie verstanden werden soll. „Durch sie entstehen Hierarchien. Durch ihre Auslegungen kommt Macht ins Spiel. Auch Macht über die Frauen.“ Emel Algan deutet an, dass ihr das nicht mehr passt. „Selbstständige, angstfreie und mutige Frauen sind für viele Männer unangenehm.“

Sie sei mutig geworden, nachdem sie ihre Lebenssituation analysiert habe, erzählt sie. Zu viel falsche Zwänge, zu viel sozialer Druck, der das Leben mitunter auch leicht macht. „Es ist oft bequem, vorgeschriebene Unfreiheit zu akzeptieren.“ Damit, so Algan, müsse man auch keine Verantwortung übernehmen. Erst angstfrei und mutig sei ein Mensch bereit, die Geheimnisse des Lebens zu entdecken.

Algans Geheimnis hat etwas mit Irland zu tun. Sie hat die Liebe zu diesem Land, zu seiner Musik, zu seinem Tanz entdeckt. Manchmal übt sie im Hinterzimmer eines irischen Pubs zwischen Guiness-Werbung und Dart-Zielscheiben mit einer Laientanzgruppe. Drei „Sünden“ begehe sie dabei, erzählt sie auf dem Rückweg nach Rudow: „Ich tue es gegen den Willen meines Mannes. Ich halte mich an einem Ort auf, wo Alkohol getrunken wird. Ich tanze in der Gruppe auch mit Männern.“ Algan ist einen Schritt weiter als die, die ihr sagen, sie versündige sich. „Der Begriff der Sünde ist sehr hart und manche Verbote schränken die Kommunikation und den Erfahrungsradius ein. Ich glaube, es geht im Grunde genommen darum, damit weltliche Machtbefugnisse mit Gott zu legitimieren. Das passt nicht mehr zu meiner Glaubensvorstellung. Es widerspricht dem Gedanken einer Entwicklung in Freiheit.“

Um ihre Freiheit zu schützen, ist ihr Leben aufgeteilt. Noch. „Im Verein bin ich Vorsitzende und spreche so für die muslimischen Frauen, wie ich es für richtig halte. In der Familie bin ich Ehefrau und Mutter. Wenn ich alleine oder mit einer Freundin zusammen bin, dann bin ich ich“, sagt Algan.

Diesen Widerspruch kann sie derzeit nicht lösen. Kommt eine Mutter zu ihr in den Verein und fragt, ob sie die 14-jährige Tochter zum Schwimmunterricht im Gymnastikanzug schicken darf, sagt Algan, das ginge nur, wenn keine Jungen und Männer anwesend seien, sonst wäre es unislamisch. Als Mutter antwortet sie: „Handle es mit deiner Tochter aus.“ Auf Du und Du rät sie: „Vertrau deiner Tochter, lass sie entscheiden.“

Wie diese Aufteilung in drei Lebensbereiche funktioniere, wird Algan gefragt. Sie wehrt ab. Sie könne alle drei Positionen vertreten. Als Vereinsvorsitzende trage sie Verantwortung für die Gemeinschaft der muslimischen Frauen; in ihr Privatleben dagegen habe niemand hineinzureden. „Es soll niemand sagen, was ich tue, sei falsch für mich. Ich kann selbst entscheiden.“

Aber wie soll das gehen, sich aufzuspalten und in jeder Rolle eine andere sein? „Ich brauche die Trennung, sonst ist der soziale Druck zu groß“, antwortet sie. Und die Widersprüche, das Mal-so-mal-so – wie können Sie damit leben? „Es geht schon“, erwidert sie, „aber ich beneide Sie um Ihre Freiheit. Verstehen Sie“, fügt sie nach einer Pause hinzu: „Sie müssen nicht so viel riskieren wie ich.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen