Wer sind sie, die Montagsdemonstranten?

Protestforscher beschreiben den typischen Hartz-Gegner als alten, linken, schlauen Ossi. NPD-Wähler seien kaum dabei

BERLIN taz ■ Er kommt aus Ostdeutschland, ist männlich, politisch links orientiert, über 50 Jahre alt und überdurchschnittlich gebildet. Dieses Soziogramm des Montagsdemonstranten hat ein Wissenschaftlerteam um den Berliner Soziologen Dieter Rucht erstellt – anhand von Befragungen bei Demonstrationen in Berlin, Leipzig, Magdeburg und Dortmund. Insgesamt 1.025 Demonstrierende befragten die Protestforscher am Montag vergangener Woche. Damit haben sie nach eigenen Angaben jeden zehnten Teilnehmer erfasst.

Wohl überraschendstes Ergebnis der Studie ist der Bildungsstand der Demonstranten. Der Studie zufolge sind die Protestler „deutlich höher“ gebildet als der durchschnittliche Deutsche: So haben etwa 47 Prozent von ihnen die Hoch- oder Fachhochschulreife, heißt es in der Studie. In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil nur bei rund 21 Prozent. Erstaunlich ist das insofern, als in den Medien oft ein Bild des wenig intelligenten, gefühlsgesteuerten Demonstranten gezeichnet wurde. „Es hat sich gezeigt, dass die Proteste nicht nur aufgeheizte Stimmung und Leute mit Schaum vorm Mund sind“, sagte Rucht. Unklar ist jedoch, ob dieses Ergebnis der Studie dadurch relativiert wurde, dass eher Gebildete bereit waren, den Fragebogen auszufüllen.

Die Proteste werden laut Forschungsbericht kaum von Rechten unterwandert. Es habe sich vielmehr eine „eindeutige Linkslastigkeit“ der Demonstrierenden gezeigt. In Berlin ist mit 82 Prozent der Anteil der „Linken“ am höchsten. In den anderen Städten ordnet sich jeder vierte bis fünfte Demonstrant dieser politischen Richtung zu. Ganz Rechte fallen lediglich in Leipzig mit 3,3 Prozent ins Gewicht.

Auch bei der Bewertung der Parteien mit Schulnoten ergibt sich aus Ruchts Studie eher eine PDS- als NPD-Nähe. Alle Parteien – auch die Rechtsextremen – erhielten dabei eine fünf minus, nur die Arbeit der PDS halten die Demonstranten für „befriedigend“. Diesen Widerspruch zu dem Erfolg der Rechten bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen erklärt der Magdeburger Soziologe Roland Roth so: „Die Wahlen waren eine Protestalternative: Die einen protestieren auf der Straße, die anderen an der Wahlurne.“

Ungewöhnlich für einen Protest ist das hohe Alter der Demonstrierenden. Das sei eben die Altersgruppe, „deren Integration in den Arbeitsmarkt am schwierigsten erscheint“, heißt es in der Studie. Aber auch die von Hartz IV nicht Betroffenen über 65 Jahre seien mit einem Anteil von 10 Prozent vertreten.

Die Studie bestätigt jedenfalls, dass überwiegend direkt oder indirekt Betroffene gegen Hartz IV demonstrieren. Zwar sind nur 40 Prozent der Befragten arbeitslos. 90 Prozent gaben jedoch an, dass „jemand in der Familie oder im Bekanntenkreis von Hartz IV betroffen ist.“ SASCHA TEGTMEIER