Nich uncool

Ina Müller liest und singt heute Abend im Schlachthof – up platt. Ausverkaufte Show

Kühe, nichts als Kühe auf ihren Weiden. Platt und grün ist das Land der norddeutschen Tiefstebene. Ein Trecker zuckelt über den Feldweg. Es riecht nach Kuhmist und frisch gemähtem Heu.

Köhlen, in der Nähe von Bremerhaven, ist das Heimatdorf von Ina Müller. Dort wird sie 1965 geboren, dort wächst sie auf – mit vier Schwestern, Bauernhof und „up platt“. „Fröher weer mi dat Plattdüütschschnacken jo richtich pienlich“, schreibt Ina Müller in ihrem ersten Buch.

Hochdeutsch lernt sie erst in der Grundschule. Ihre Muttersprache Plattdeutsch galt lange Zeit als „uncool“, wurde mit Bauern assoziiert, die in Gummistiefeln über den Acker stapfen. Niederdeutsche Amateurbühnen versuchten, plattdeutsche Prosa, Dramatik und Lyrik kulturfähig zu machen. Aber erst mit Ina Müller wurde aus dem Nischenprodukt ein gesellschaftsfähiges und allgemein anerkanntes Kunst-Phänomen.

Eine plattdeutsche Lesung im Bremer Schlachthof: früher wahrscheinlich belächelt, jetzt ausverkauft. Wenn Ina Müller heute Abend ihr Buch „Platt is nich uncool“ präsentiert, werden sich 500 Zuhörer in der Kesselhalle dicht an dicht drängen. Die Autorin kann ihren Erfolg selbst noch nicht fassen und hatte in kleinerem Rahmen geplant: „Ich wollte in Räumen lesen, die auch halb gefüllt gut aussehen.“ Darüber muss sie sich nun keine Sorgen mehr machen.

Lesung, das klang Ina Müller zu dröge, deshalb nennt sie ihr Programm „Sing-Lese-Erzähl-Show“. Gitarrist Hardy Kayser und Kontrabassist Olaf Casimir werden sie und ihre Poplieder mit plattdeutschen Texten begleiten.

Das werde, so Müller, von vielen als Lehrstunde verstanden. Viele Jüngere, die Plattdeutsch zwar verstehen, selbst aber nicht sprechen könnten, würden auch in ihrem Buch „einfach herumstreichen“. Und dann „lernen sie die Wörter wie Vokabeln.“ Denn mittlerweile gehört Plattdeutsch zu den aussterbenden Sprachen. Kaum ein Kind wird noch auf Platt erzogen. Es ist nicht mehr das Normale, sondern das Besondere. Plattdeutsch sprechen oder verstehen ist cool, verbindet es doch die Eingeweihten wie Mitglieder in einem Geheimbund.

Eigentlich ist Ina Müller Pharmazeutisch-Technische-Assistentin. Doch seit 1996 hat sie ihren Kittel an den Nagel gehängt und ist seither Teil des Musikkabaretts „QueenBee.“ Mit ihrem Platt-Programm hat sie das Gefühl, angekommen zu sein, nicht nur beim Publikum, sondern bei sich selbst. Vielleicht gehe das nur mit Platt.

Philosophie hin oder her, „Platt is nich uncool.“ Diese Feststellung hat Ina Müller mit dem Punkt im Buchtitel bekräftigt. Punkt. Aus. Keine Diskussion. ANNA POSTELS