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Boulevardstars braucht das Land

Das Theater am Kurfürstendamm versucht mit „Elling“ einen behutsamen Imagewechsel: Weg von den Paradeberlinern, hin zu jüngeren TV-Stars

VON AXEL SCHOCK

Kein leichtes Erbe, welches Martin Wölffer am 22. September da angetreten hat. Ganz traditionsbewusst hatte man sich den 100. Geburtstag des Großvaters und Begründers der Theaterdynastie am Kurfürstendamm ausgeguckt, um die beiden Häuser Komödie und Theater am Kurfürstendamm von Vater Jürgen Wölffer an den 40-jährigen Sohn zu übergeben. Immer wieder mal hatten die beiden unsubventionierten Privattheater im Laufe der Jahrzehnte ums Überleben zu kämpfen und leiden sowohl unter den hohen Betriebskosten wie dem wankelmütigen Publikum. Zu lange hatte man vor allem an dem über Jahrzehnte bewährten Konzept festgehalten: Man nehme leichtfüßige Boulevardstücke und ein, zwei aus Film und Fernsehen bekannte Stars, und schon füllen abends vor allem die Touristenbusse und das Westberliner Bürgertum die beiden Säle links und rechts des Kudammkarrees.

Vor allem die fernsehbekannten Parade-Berliner der Mauerstadt von Harald Juhnke, Edith Hancke, Brigitte Mira und Günter Pfitzmann bis Ursula Monn, Friedrich Schoenfelder und Brigitte Grothum waren die Zugpferde, die unermüdlich bis ins hohe Alter sich ihrem Publikum zum Anfassen nah auf der Bühne präsentierten und es zum Teil immer noch tun. Doch das Publikum alterte mit. Und das Image der Rentnerbühnen am Kurfürstendamm wieder loszuwerden, war und ist schwerer, als sich dies manch mutiger Kopf im Hause Wölffer wohl vorgestellt hat. Da mochte man Peter Zadek und Susanne Lothar für eine Alan-Ayckborn-Komödie ans Haus locken oder bei einer Woody-Allen-Inszenierung mit Georgette Dee als Star aufwarten – das Publikum kann manchmal stur und schwer umzuerziehen sein. Einen langen Atem aber kann sich eine Privatbühne in der Regel nicht leisten. Zumal auch andere Theater in der Stadt ihre Medienstars pflegen.

Wer die Gesichter aus der Fernsehzeitschrift auf der Bühne erleben will, muss nicht unbedingt an den Kurfürstendamm. Am Maxim-Gorki-Theater macht Katja Riemann auf Femme fatal, am Renaissance-Theater tummeln sich Judy Winter, Christian Berkel, Mario Adorf und demnächst Ingrid Steeger sowie Ben Becker. Und auch die neue Leitung des Hansa-Theaters in Moabit setzt ganz auf die TV-Prominenz ihrer Stars und verpflichtet Lilo Wanders und Sissi Perlinger, Senta Berger und Peter Fricke.

Doch die veränderte, expandierte und aufgesplitterte Medienlandschaft der vergangenen Jahre, die künstliche Multiplikation von Stars und Sternchen hat nicht nur deren Halbwertszeit, sondern auch die übergreifende Akzeptanz geschmälert. Das macht es wahrscheinlich gerade auch für Theater wie die Wölffer-Bühnen schwer, sich jüngere Generationen ans Haus zu binden. Im vergangenen Jahr hat man mutig ein Schwulendrama von Klaus Chatten auf den Spielplan gepackt und Dirk Bach als Frontmann gewonnen. Genützt hat es nicht viel. Das Stück war schwach, das Stammpublikum überfordert – und zu viele Plätze im Zuschauerraum blieben leer.

Auch mit der jüngsten Produktion setzt Martin Wölffer auf junge Stoffe und neue Gesichter. „Elling“, basierend auf einer Romanvorlage von Ingvar Ambjornson, wurde durch Petter Naesses Verfilmung zu Norwegens erfolgreichstem Film, der auch schon vor der Oscar-Nominierung allein in Deutschland eine halbe Million Zuschauer in die Kinos lockte. Nun sollen die beiden eben aus der psychiatrischen Klinik entlassenen Elling und Kjell bei ihren ersten Gehversuchen draußen im „wahren Leben“ auch auf der Bühne das Publikum für sich einnehmen.

Andreas Hoppe, den man als Lena Odenthals Partner aus dem SWR-„Tatort“ kennt, ist Kjell Bjarne. Ein etwas grobschlächtiger, wortkarger Kerl, der mit Hammer und Schraubenschlüssel umzugehen weiß, aber nicht mit Frauen, und für den auch das Wechseln von Socken und Unterhosen ein größeres Problem darstellt. Und Michael Schreiner („Das Sams“, „Der Bulle von Tölz“) ist Elling. Ein Muttersöhnchen mit Abitur, der mit seinen Phobien ringt. Ein heimlicher Lyriker, der seine Gedichte im Supermarkt in Sauerkrautpackungen unters Volk bringt.

Zwei Stunden schleppen sich die kleinen, bisweilen skurrilen Szenen aus dem Alltag dieses Männerpaares dahin. Wir erleben, wie sie die Angst vor dem Telefon überwinden und ihre neue Fähigkeit gleich ausgiebig mit Telefonsex üben und sich schließlich in eine hochschwangere, allein gelassene Nachbarin verlieben. Bemerkenswerterweise kommt erst mit ihr etwas Dynamik ins Spiel, beginnen die Emotionen etwas hochzukochen und die innere Verzweiflung auch den Zuschauer zu packen. Bis dahin agieren Hoppe und Schreiner beinahe hölzern und schablonenhaft, was weniger den Schauspielern denn dem Regisseur Robert Seethaler zuzuschreiben ist. Grips-Veteranin Ilona Schulz hingegen stellt ihre Figur griffig, glaubwürdig und mit viel Charme auf die Bühne.

Ansonsten aber hat dieser Abend einen entscheidenden Mangel: Er berührt nicht. Zumindest, was den Schlussapplaus betrifft, machte das Premierenpublikum den Eindruck, es habe sich gut amüsiert. All die versammelten Freunde und Kollegen der Fernsehstars von Jürgen Tarrach über Alexander Radszun bis Guntbert Warns klatschten freundlich in die Hände. Vielleicht sieht man sie ja demnächst selbst dort oben auf der Bühne stehen.

Weitere Vorstellungen bis 21. November, Theater am Kurfürstendamm, Kurfürstendamm 206

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