Gipfel-Stürmer in Göteborg vor Gericht

Drei Jahre nach den Unruhen während des EU-Gipfels in Göteborg beginnt heute der Prozess gegen einen Demonstranten. Der Angeklagte soll einen Polizisten misshandelt haben. NGO spricht von politischer Verfolgung

Die Polizei hattealle in der Schulebefindlichen Personen eingesperrt

STOCKHOLM taz ■ Der möglicherweise letzte Prozess gegen einen im Zusammenhang mit den Unruhen beim EU-Gipfel in Göteborg im Juni 2001 angeklagten Demonstranten beginnt heute in der westschwedischen Stadt. Angeklagt ist der 23-jährige Holländer Maarten Blok. Er soll einen Polizisten misshandelt haben.

Ort des Vorfalls war das Hvitfeldtska-Gymnasium, eine Schlafstelle für Gipfel-GegnerInnen, in der auch Blok untergekommen war. Wie hunderte anderer DemonstrantInnen erwachte er am 14. Juni 2001 und musste feststellen, dass die Polizei das Gelände abgeriegelt und alle in der Schule befindlichen Personen eingesperrt hatte. Angeblich hatte man einen Hinweis bekommen, dass sich dort Waffen befinden sollen. Tatsächlich sollten mit der Aktion offenbar die DemonstrantInnen gehindert werden, sich an Kundgebungen gegen den an diesen Tag nach Göteborg kommenden US-Präsidenten Bush zu beteiligen.

Blok gibt an, versucht zu haben, über einen der Container zu klettern, mit denen die Polizei die Absperrung gebildet hatte. Daran habe ihn ein Polizist gehindert. Die Anklage vermutet in ihm einen „Gewalttäter“, der einen auf einem Container stehenden Polizeibeamten mit einer Latte geschlagen haben soll. Dieser Angreifer wurde von einem Polizeikollegen von dem Container heruntergeworfen, danach gab es ein Handgemenge, aber keine Festnahme.

Blok gibt an, mit diesem Vorfall nichts zu tun zu haben. Identifiziert haben wollen ihn mehrere Polizeibeamte. Auf seine Spur war die schwedische Justiz gekommen, weil Blok bei der niederländischen Polizei Anzeige wegen Misshandlung gegen einen schwedischen Polizeibeamten eingereicht hatte. Zwei Monate später stellte der verletzte Polizist Strafanzeige gegen Blok.

Um das Auslieferungsbegehren, welches Stockholm gegen Blok gestellt hatte, hatte es in den Niederlanden eine Kontroverse gegeben. Blok hatte vergeblich versucht, einen Prozess vor einem niederländischen Gericht zu erhalten. Ein Netzwerk aus verschiedenen Ländern unterstützt Blok und es hat mehrere Manifestationen für ihn gegeben. Auch zum Prozessauftakt sind Demonstrationen in Göteborg, Stockholm, Amsterdam und vor den schwedischen Botschaften anderer europäischer Hauptstädten geplant.

Grund ist nicht nur der Fall Blok, sondern der Eifer der schwedischen Justiz in Sachen der Gipfel-Unruhen insgesamt. Anders Svensson von einem schwedischen Demonstranten-Netzwerk spricht von „politischer Verfolgung“. „Die Protestierenden vom Gipfel sind zu wesentlich härteren Strafen als Fußball-Hooligans für den gleichen Tatvorwurf verurteilt worden.“ Von 78 im Gefolge von Göteborg vor schwedischen Gerichten Angeklagten wurden 48 Personen verurteilt. Die Durchschnittsstrafe liegt bei knapp einem Jahr Haft.

Außer den Prozessen in Schweden sind 13 Anklagen auf Begehren der Göteborger Staatsanwaltschaft in Deutschland, fünf in Dänemark, zwei in Holland und eine in Norwegen behandelt worden. Diese endeten größtenteils mit geringeren Strafmaßen als in Schweden oder mit Freisprüchen. Im Oktober beginnt das Berufungsverfahren gegen den Ex-Polizeipräsidenten von Göteborg, bei dem es um die Frage geht, ob der Einsatz vor dem Gymnasium von vornherein rechtswidrig war.

Die finnische Justiz hat deshalb auch zwei anhängige Verfahren ausgesetzt. Eine solche Prozessaussetzung wird Blok-Verteidiger Stig Centerwall wohl jetzt beantragen: „War die Absperrung ungesetzlich, handelte es sich um eine schwerwiegende polizeiliche Provokation. Das muss den Ausgang aller Prozesse im Zusammenhang mit dem Hvitfeldtska-Gymnasium beeinflussen.“ REINHARD WOLFF