Volksverhetzung per E-Mail

Weil ein Zeuge ausblieb, muss der Prozess gegen einen Hannoveraner Juwelier neu angesetzt werden. Hat der Geschäftmann den Schriftsteller Ralph Giordano als „jüdische Drecksschleuder“ bezeichnet? Oder „nur“ die Mail eines Neonazis überarbeitet?

aus HannoverTilmann Weber

Der Kampf gegen die Schatten der deutschen Vergangenheit hatte diesmal etwas von Schattenboxen. „Sind Sie der Zeuge?“, fragte gestern Vormittag Amtsrichter Günter Kiesekamp im Sitzungssaal verpätet eintretende Zuschauer. Doch der Mitarbeiter vom Hamburger Produktionsteam der ZDF-Show Johannes B. Kerner kam nicht. So blieb die Suche nach dem einzigen Zeugen einer Volksverhetzung erfolglos. Er habe die Vorladung nicht erhalten, so der Zeuge später zur taz. Bei seiner Aussage aber wolle er bleiben, wenn die Verhandlung für November neu angesetzt werde.

Ein Verfahren, in dem der mutmaßliche Täter die „Empfindlichkeit in diesem Lande“ als Grund für die Anklage verstanden wissen möchte – nicht aber die Tat. Nach übereinstimmenden Angaben war dem ZDF am 16. Oktober vergangenen Jahres, nach einem Auftritt des Kölner Schriftstellers Ralph Giordano („Die Bertinis“) bei Kerner, eine E-Mail mit antisemitischen Parolen zugegangen. Diese trug die Absendemaske des Hannoveraner Juweliers und Immobilienhändlers Lutz H. In dem Schreiben ist die Rede vom „Auftritt der jüdischen Drecksschleuder“ sowie vom „Auftritt des Deutschenhassers und Chefhetzers der jüdischen Gemeinde Deutschland“. Nach einem zivilrechtlichen Verfahren wegen Beleidigung klagte die Staatsanwaltschaft H. nun wegen Volksverhetzung an.

Von Anfang an hatte der Geschäftsmann seine Sache offensiv verfochten. Die Echtheit der E-Mail bestreitet er nicht. Verfasser des Textes sei ein Autor, den er beim Chatten im Internet kennen gelernt habe. Demnach soll der Autor dem Geschäftsmann H. den Text zum Gegenlesen vorgelegt haben. H. habe eine korrigierte Fassung zurückgefaxt. Doch der Autor, dessen Name H. nicht verrät, habe vermutlich die unkorrigierte Fassung versandt – und diese zur Tarnung mit einer gefälschten Postfach-Maske des Juweliergeschäfts versehen.

Tatsächlich, so ist zu erfahren, liegt der Verfahrens-Akte eine Kopie eines angeblichen Faxes bei. Darauf sind die ursprünglichen Formulierungen durchgestrichen. Handschriftlich eingefügt heißt es dort jetzt: „der wie immer mit alttestamentarischer Strenge vorgetragene Auftritt des Deutschenhassers“. Geklärt werden muss in dem Prozess nun unter anderem, ob H. das angebliche Fax nur zur späteren Verteidigung vorproduzierte. Denn der Zeuge aus dem Kerner-Team gab bereits zu Protokoll, bei einem Telefonat vor einem Jahr habe H. verlauten lassen, die E-Mail selbst verfasst zu haben. Kollegen aus dem Kerner-Team sollen das mitgehört haben.

Der Angeklagte ist einschlägig bekannt. So unterlag er in einem Prozess wegen Verleumdung des Hannoveraner Oberbürgermeisters Herbert Schmalstieg. H. hatte ihm die Teilnahme an einer von der verbotenen Kurden-Organisation unterstützten Demonstration vorgeworfen. Auch im Streit um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern hat sich H. mit Kommentaren gegen die Opfer eingemischt.

Vor seinem Laden gab sich H. im Anschluss an den Gerichtstermin auch für die taz ansprechbar. Als „Deutscher“ fühle er sich angegriffen von Debatten über deutsche Schuld, sagte er. In Internetforen beteilige er sich an Debatten zur deutschen Geschichte. Und weil er sich „auskenne“, biete er anderen regelmäßig an, für sie Leserbriefe zu verfassen oder zu überarbeiten. Er wolle verhindern, dass Kritik etwa an jüdischen Funktionären „von den Linken lächerlich gemacht wird, nur weil einer Rechtschreibfehler setzt“.

„Der steht nicht zu seiner Untat“, kommentierte gestern Ralph Giordano im Telefongespräch. Und:„Die Justiz darf solchen Leuten nicht auf den Leim gehen.“