Nur einmal im Monat Ostseelachs

Würde man die EU-Grenzwerte für Dioxine und dioxinähnliche Substanzen ernst nehmen, dann dürfte heute schon in der Ostsee kein Lachs mehr gefangen werden. In mehreren Ländern wird bereits empfohlen, den Ostseelachs möglichst zu meiden

Fisch ist das am stärksten belastete Nahrungsmittel

VON GUDRUN FISCHER

Lachse sind mit Brandschutzmitteln schwer belastet. Insbesondere betrifft das Zuchtlachse. Das geht aus einer US-Studie hervor, die Mitte August in der Zeitschrift Enviromental Science & Technology veröffentlicht wurde. Polybromierte Diphenylether (PBDE) heißen die flammhemmenden Zusätze, die Computer oder Möbeln brandsicher machen. Zeitgleich mit Veröffentlichung der Studie erließ die EU ein Vermarktungsverbot für zwei Substanzen aus der Gruppe der PBDE, und zwar penta-BDE und octa-BDE. Jedoch darf das deca-BDE, das sich zu den giftigen penta- und octa-BDE abbaut, weiterhin in Alltagsprodukten eingesetzt werden. Die EU sorgt sich zurzeit jedoch nicht weiter um PBDEs, sondern um das schon lange bekannten Dioxin.

Anfang des Jahres belegte ein Artikel in der Fachzeitschrift Science, dass europäische Zuchtlachse erhöhte Dioxinwerte zeigen. Dieser Lachs wird in Fischzuchtfarmen, in Aquakulturen, großgezogen, wo er mehr Fett ansetzt als Wildlachs. Und gerade in Fett lagern sich Dioxine und andere Gifte ab. Der Science-Artikel empfiehlt Konsumentinnen und Konsumenten, europäischen Zuchtlachs zu meiden.

Großbritannien reagierte auf die Warnung und riet Frauen in gebärfähigem Alter, nicht mehr als zwei Portionen fettigen Fisch pro Woche zu essen. In Schweden und Finnland gibt es schon seit Jahren Warnungen vor Fisch, denn dort gelten großzügigere Grenzwerte. Die Ostsee am Finnischen Meerbusen ist so belastet, dass mit den eigentlichen EU-Grenzwerten kein Lachs mehr gefangen werden dürfte. Nicht mehr als einmal im Monat Lachs essen, das ist seitdem die Devise in Schweden.

Im April diesen Jahres hat Dänemark ein Fangverbot für Lachs aus der Ostsee ausgesprochen, da die Belastung mit Dioxin über dem von der EU 2001 festgelegten Höchstwert von vier Pikogramm Dioxin pro Gramm frischen Lachs lag. Nahe liegend wäre gewesen, dass auch Deutschland ein Fangverbot verfügt, findet Nadja Ziebarth, Biologin und Mitarbeiterin in der „Aktionskonferenz Nordsee“ (AKN). Doch die deutschen Behörden wiegelten ab. „Da hieß es vom Bundesministerium für Umwelt, dass die Deutschen in einer anderen Region fischen würden als die Dänen. Dabei hat Dänemark das Fangverbot für die ganze Ostsee ausgesprochen.“ Die deutschen Behörden behaupteten, es würde nur südlich von Bornholm Lachs gefischt und da wären die Werte unter dem Grenzwert, meint Ziebarth.

Horst Karl von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, Forschungsbereich Fischqualität, der regelmäßig Fischproben aus der Ostsee zieht, hält das Fangverbot in Dänemark für richtig. Doch für Deutschland müsse das nicht zwangsläufig auch gelten, sagt der Chemiker. Denn nur ein sehr geringer Teil des in Deutschland konsumierten Fischs käme aus der östliche Ostsee. Der größere Teil stamme aus der nördlichen Hemisphäre und nach seinen Untersuchungsergebnissen läge die Dioxinbelastung von Zuchtlachs aus Norwegen nur bei einem Zehntel der tolerierbaren Menge Dioxin.

Doch im Grunde stimmen die EU-Länder darin überein, dass die Belastung der Bevölkerung mit Dioxinen aus der Nahrung zum Teil über der tolerierbaren wöchentlichen Aufnahmemenge liegt. Fisch ist wegen der Meeresverschmutzung das am stärksten belastete Nahrungsmittel. „Dieser Sachverhalt soll bis 2006 durch EU-Richtlinien geändert werden“, so Hermann Kleemeyer, Chemiker, Berater für Umweltschutzgruppen und auch AKN-Mitarbeiter. Und das sei dringend erforderlich, denn die derzeit gültigen Höchstwerte für Dioxine in Fisch und Futtermittel orientierten sich stärker an der Vermarktungsfähigkeit für Fischereiprodukte als am Schutz der Verbraucher.

Neben Dioxin vergiften andere Stoffe die Ostseefische, die bisher gar nicht untersucht wurden. Nadja Ziebarth verweist auf die dioxinähnlich wirkenden PCBs, die in die Grenzwerte aufgenommen werden sollen. „Wenn die mit drin sind, würde bei Fischen, der angelandet wird, der Grenzwert häufig überschritten. Das heißt, die EU muss, um Lachs verkaufen zu können, diesen Grenzwert hoch setzen.“

PCBs sind Polychlorierte Biphenyle, von denen es über 200 gibt. Zwölf davon wirken wie Dioxine. Die Folgen sind Krebs, Schädigung des Immunsystems und des Hormonhaushalts, neurologische Störungen oder Lebererkrankungen. Dioxine reichern sich in Milch, Fleisch, Eiern und Fischen an.

Herman Kleemeyer vermutet, dass die EU den Höchstwert von Dioxin plus PCBs auf sechs Pikogramm pro Gramm Fisch festlegen wird. Die Belastung mit dioxinähnlich wirkenden PCBs ist meist ebenso hoch wie die der Dioxine, gelegentlich auch drei- bis fünfmal so hoch. Dass die dioxinähnlich wirkenden PCBs in den Grenzwert mit aufgenommen werden, ist ein Fortschritt, findet Kleemeyer. Doch es gibt Tricks: Seit dem 1. Juli darf zum Beispiel in Dänemark doch wieder Lachs gefischt werden, wenn er kleiner ist als 72 cm und weniger wiegt als 4,4 kg. Es wird davon ausgegangen, dass junger Fisch weniger Gifte angereichert hat.