Polderland friert alle Löhne ein

Die Probleme der Niederländer sind in Deutschland bekannt. Arbeitslosigkeit, überlastete Rentenkassen, uferlose Staatsausgaben. Zur Belebung der Wirtschaft vereinbarten Arbeitgeber und Gewerkschaften einen zweijährigen Lohnstopp

von HENK RAIJER

Das „Poldermodell“ lebt. Die niederländische Regierung hat die in der jüngsten Vergangenheit so erfolgreiche Tradition der Verhandlungsdemokratie neu belebt. Mit Arbeitgebern und Gewerkschaften vereinbarte sie am Dienstag, dass es 2004 keine Lohnerhöhungen geben wird und sich die Erhöhungen im Jahre 2005 „der Nullgrenze annähern“ sollen. Im Gegenzug wird die Mitte-rechts-Regierung zunächst auf einige umstrittene Einschnitte bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie der Frühverrentung verzichten.

Hollands Ministerpräsident Jan Peter Balkenende zeigte sich mit dem Ergebnis sehr zufrieden. „Die Nullrunde ist ein Signal für mehr Wirtschaftswachstum und schafft neue Arbeitsplätze“, sagte der Christdemokrat. Arbeits- und Sozialminister Aart Jan de Geus sprach von einem „historischen Augenblick“. Mit dieser Vereinbarung könne die angeschlagene Wirtschaft wieder wachsen, bekäme der Staat die Ausgaben in den Griff und könnten sich die Rentenkassen erholen. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes FNV, Lodewijk de Waal, bezeichnete die Vereinbarung als „notwendig“, aber auch als „geringeres Übel“.

Sprecher der Regierung und der beiden Tarifpartner betonten, dass das aus dem Jahr 1982 stammende Modell einvernehmlicher Regelungen für Lohnmäßigung als Vorbild gedient habe. Das „Poldermodell“ gilt als holländische Variante des Bündnisses für Arbeit. Es wurde zur Zeit des Christdemokraten Ruud Lubbers angeschoben. Die Früchte durfte dann sein sozialdemokratischer Nachfolger Wim Kok (1994–2002) ernten – nicht zuletzt dank boomender Wirtschaft und beispielloser Flexibilisierung der Arbeitswelt.

Gewerkschaftschef de Waal hatte die Verhandlungspartner mit seiner Bereitschaft, die Löhne praktisch zwei Jahre lang einzufrieren, überrascht. Sein „Zugeständnis“ verknüpfte er aber mit einem Forderungskatalog. So setzte er durch, dass die Löhne, sollte sich die Wirtschaft 2005 merklich erholen, trotz der jüngsten Vereinbarung steigen können. Auch bleiben einmalige, an Erträge gebundene Lohnerhöhungen oder Überschussbeteiligungen, „grundsätzlich möglich“.

Der finanzielle Spielraum, der durch die Einigung zur Lohnmäßigung entsteht, soll genutzt werden, um die geltenden Regelungen bei Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung – vorerst – vor drastischen Einschnitten zu bewahren. Arbeitnehmer etwa, die in Zukunft erwerbsunfähig werden, behalten nun doch ihren Anspruch auf eine minimale Unterstützung, auch wenn der Partner über ein ausreichendes Einkommen verfügt. Ebenso wird die staatliche Unterstützung für Bürger, die lange Zeit oder permanent arbeitsunfähig sind, um 5 auf 75 Prozent des zuletzt verdienten Lohnes erhöht.

Arbeitszeitverkürzungen, die 1982 und bei Tarifverhandlungen 1993 noch in Aussicht gestellt wurden, sind in Holland kein Thema mehr. Gewerkschafter de Waals Kommentar: „Es ging diesmal nur noch um Schadensbegrenzung.“