Plädoyer für langsamere Globalisierung

Nobelpreisträger Paul Samuelson wendet sich gegen die Lehre vom allseitigen Nutzen des Freihandels. Die Verlagerung von Jobs in Niedriglohnländer könne den Industriestaaten sehr wohl schaden. Unterstützung für US-Präsidentschaftskandidat Kerry

VON MICHAELA KRAUSE

Paul Samuelson, Wirtschaftsnobelpreisträger und pensionierter Professor des renommierten Massachusets Institute of Technology, hat mit einer noch unveröffentlichten Arbeit nicht nur in den USA für Aufruhr gesorgt. Er stellt darin in Frage, dass alle beteiligten Volkswirtschaften langfristig profitieren, wenn Unternehmen Arbeitsplätze von Hoch- in Niedriglohnländer verlagern. „Wir sollten das Tempo der Globalisierung drosseln“, erklärt Samuelson.

Callcenter in Indien, Computercode aus China – immer mehr Unternehmen verlagern Arbeitsplätze besonders im Zusammenhang mit Dienstleistungen in Entwicklungsländer. Die Frage nach den Folgen für Hochlohnländer hat deswegen in den vergangenen Jahren an Brisanz gewonnen.

Für viele Ökonomen galt die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer, das so genannte Outsourcing, bisher als eine für alle Beteiligten lohnenswerte Form des Freihandels. Man nahm an, dass zwar Löhne im Industrieland als Folge sinken könnten, dies aber durch sinkende Preise von Importgütern ausgeglichen würde. Der Wohlstand der Job-Exporteure würde damit nicht abnehmen, so die Hoffnung.

Samuelson kommt in seinem Aufsatz hingegen zu dem Ergebnis, dass in einer Situation des Freihandels bei fortschreitender technologischer Entwicklung das reale Pro-Kopf-Einkommen in den USA fallen kann – und das dauerhaft. Die Importpreise sinken in seiner Modellwelt nicht genug, um die niedrigeren Löhne zu kompensieren. Aber Vorsicht: Nicht der Freihandel mit Dienstleistungen schadet nach Samuelsons Überlegungen den USA, sondern der technologische Fortschritt in Entwicklungsländern, wenn er dort bei der Produktion von US-Exportgütern schneller voranschreitet als in den USA.

Zum Hausgebrauch für Globalisierungsgegner – wie vielerorts behauptet – taugt Samuelsons Argument nicht. Zwar weist Samuelson auf die negativen Folgen der Globalisierung für nordamerikanische Arbeitnehmer hin. Freuen dürfen sich darüber jedoch nur die Gewerkschaften der Industrieländer. Denn die Globalisierung hat in Samuelsons Szenario auch positive Folgen für die Entwicklungsländer. Und als deren Interessenvertreter verstehen sich viele Globalisierungskritiker.

Forderungen nach Handelsbarrieren zu unterstützen ist nicht Samuelsons erklärtes Ziel. Anstatt sich auf die Seite der Protektionisten zu stellen, verlangt Samuelson die Verlangsamung des Prozesses der Globalisierung. Handelsbarrieren seien nur die „Brutstätten für wirtschaftliche Arterienverkalkung“. Importe könnten auch neue Technologien mit sich bringen und so den wirtschaftlichen Prozess ankurbeln. Vielmehr geht es Samuelson ausdrücklich darum, Beiträge zum Thema Outsourcing richtig zu stellen. Einiges spricht dafür, dass er sich dadurch in den US-Wahlkampf einmischen will. Samuelson wendet sich mit seinem Aufsatz gegen eine Aussage seines eigenen Ziehsohns, Bushs Wirtschaftsberater Gregory Mankiw. Dessen Äußerung, langfristig werde die US-Wirtschaft vom Outsourcing profitieren, verursachte in den USA eine erhitzte Debatte. Samuelson wirft ihm und anderen vor, eine „polemisch-populäre Unwahrheit“ zu verbreiten. Der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry hingegen kritisierte Unternehmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, scharf. Und neu sind Samuelsons Ergebnisse wahrlich nicht: Der heute 89-jährige Wissenschaftler hat sie in den 70er-Jahren schon einmal publiziert.