Ich bin der Aprikosen-Mann

Die Bremerin Doris Moormann gibt Farb- und Persönlichkeitsberatung. Dabei spielen die energetischen Schwingungen der Farben eine wichtige Rolle, die sich sogar auf Tücher übertragen können. Ein Mann im Selbstversuch

Viel weiß ich nicht mehr aus dem Kunstunterricht der Mittelstufe. Die äußerst verständnisvolle Kunsterzieherin im nordfriesischen Niebüll hatte offenbar akzeptiert, dass es für uns halbstarke Kerls wichtiger war, erste Kontakte zum schönen Geschlecht zu knüpfen, als die Farbenskala auswendig zu lernen. Sie ließ uns in Seelenruhe Blödsinn machen. Dass es im Zwölf-Farben-Tuschkasten aber zwei Rottöne gab, die karmin- und zinnoberrot heißen, ist mir im Gedächtnis geblieben.

Der Teppich in Doris Moormanns Wohnzimmer ist karminrot. Da ist eine starke Blaunote drin. Das passt zur Couch, die ultramarin ist. Sofa und Teppich stehen für die alte Doris Moormann, die man bis vor einem Jahr in kontrastreichen Winterfarben durch das Steintorviertel flanieren sah. Die neue Doris Moormann hingegen ist in orange und grün gewandet und somit ein Herbsttyp. Das wird auch in ihrem Arbeitszimmer deutlich. Dort fühlt sie sich wohl. Alles ist orange, grün oder gelb – vom Stuhlkissen bis hin zum Ablagekorb auf dem Schreibtisch. Selbst der Rotbusch-Tee, den Doris Moormann bei der Arbeit gerne trinkt, hat die Farbe, die sie glücklich macht.

Seit einem Jahr arbeitet die Bremerin in ihrer Wohnung in der Lübecker Straße als Farb- und Persönlichkeitsberaterin. Dabei geht es nicht nur ums Optische. Das ist ihr besonders wichtig. Doris Moormanns Kunden lernen, die Farben wahrzunehmen, ohne zu wissen, um welchen Ton es sich handelt. Wie das genau geht, könne sie nicht erklären. Mit Physik habe das zu tun und mit spezifischen energetischen Schwingungen, die jede Farbe ausstrahlt.

Mein Pullover ist blau. Ganz schlecht. Blau zieht die Gefäße zusammen. Die Körpertemperatur sinkt, wenn man sich in einem blauen Raum befindet – selbst bei Blinden. Die Farbberaterin ist mit der Wahl meiner Oberbekleidung offenbar nicht zufrieden.

Ich nehme auf einem Stuhl vor einem Spiegel Platz. Die nächsten vier Stunden werde ich hier sitzen bleiben. Normalsterbliche zahlen dafür 140 Euro.

Im Spiegel sehe ich nur mein Gesicht. Jetzt soll ich die Augen schließen. Aus einer Kommode zieht Doris Moormann verschiedene farbige Tücher, die sie mir der Reihe nach über die Schultern legt.

Die Farbberaterin schreibt mit. Das erste Tuch wirkt schwer. Es kitzelt am Hals. Nach ein paar Minuten darf ich die Augen wieder öffnen. Im Spiegel sehe ich einen schlecht rasierten Kerl mit Pickeln im Gesicht. Das ist ja furchtbar. War spät gestern, denke ich. Aber nein. Ich erinnere mich daran, dass ich mich heute morgen sehr gründlich rasiert habe. Um elf Uhr lag ich gestern Abend in den Federn und seitdem ich mir das ständige Pommes-Essen abgewöhnt habe, habe ich kaum noch Probleme mit Pickeln. Doris Moormann beruhigt mich. Es ist das Tuch mit seinen komischen Vibes, das negativ auf mich wirkt.

Augen wieder zu. Schlimmer kann es ja kaum werden. Das nächste Tuch ist aus dem gleichen Material wie das erste. Trotzdem fühle ich mich besser. Das Tuch wirkt viel leichter. Es ist angenehm kühl. Als ich mich erneut im Spiegel betrachte, bin ich viel entspannter. Pickel und Bartschatten sind beinahe verschwunden. „Die Augen sind präsenter“, schreibt Doris Moormann auf ihren Zettel.

Nach vier Tüchern steht fest: Entweder bin ich ein Herbst- oder ein Frühlingstyp. Alle Menschen lassen sich in eines von vier Mustern, benannt nach den Jahreszeiten, einordnen, erklärt die Farbberaterin. Und: „Wer einmal ein Sommertyp ist, bleibt das sein ganzes Leben lang.“

In Runde zwei fliegen die Sommer- und Winterfarben also raus. Ich merke, wie ich gesprächiger werde. Bei frühlingsgelb erzähle ich eine ausufernde Geschichte über ein wildes Rendezvous. Bei apricot stammele ich etwas von Punschtrinken auf dem Weihnachtsmarkt. So ähnlich habe ich es mir immer auf der Psychiatercouch vorgestellt.

Nach dreieinhalb Stunden und elf getesteten Tüchern ist sich die Farbberaterin sicher: Ich bin ein Frühlingstyp. Das ist bei Männern äußerst selten. Ich bin erst der zweite Frühlingsmann, der auf Doris Moormanns Stuhl Platz genommen hat. Allerdings machen Männer auch nur ein Fünftel ihrer Kundschaft aus.

Zum Schluss testet die Farbberaterin, welche der Frühlingstöne mir am besten stehen. „Gleich morgen kaufen Sie sich ein apricotfarbenes Hemd“, rät sie. Das mache mich frischer, schlanker und schöner und gäbe mir neues Selbstbewusstsein. Im Moment habe ich genug Klamotten. Doch wenn es mich das nächste Mal zum Shopping in die City treibt, wird meine Methamorphose beginnen. Ab dann nennt man mich den Aprikosen-Mann.

Ebbe Volquardsen

Wer Interesse an einer Farbberatung hat, kann Doris Moormann in der Lübecker Straße 36 unter ☎ 0421/75987 erreichen.