„Was haben Sie denn mit diesen Leichen?“

Das hat er nun davon: Weil sich Sigmund Freud bei seinem einzigen Besuch in Bremen über Carl Gustav Jungs Begeisterung für die Mumien des Bleikellers erregte, stellen die Künstler André Korpys und Markus Löffler seinen Kopf dortselbst zur Schau – befestigt, aber nicht geföhnt

Es rumpelt über den Köpfen, der Boden vibriert. Das Gewölbe des Bremer Bleikellers wirft das abklingende Grollen der Straßenbahn von Wand zu Wand. Das Haupt Sigmund Freuds schwimmt in einem zerbrechlich wirkenden Glaskubus. Wäre der abgeschlagene Kopf nicht festgezurrt, er würde lustig in der Flüssigkeit schaukeln – mit wehendem dünnen Haar den Schwingungen ausgesetzt. Aber er sitzt und bleibt hartnäckig. „Wir wollten ihn eigentlich noch föhnen“, sagt der Künstler Markus Löffler. Und er starrt doch auch ganz schön – der schlohweiße Vater der Psychoanalyse. Morbide halt. Und fügt sich so in die Atmosphäre des Bleikellers mit seinen Steinsarkophagen und mumifizierten Leichen.

Eine kleine Schar hat sich um den Kopf im Wasserglas versammelt. Hier und jetzt sollen Antworten gefunden werden. Die Kunst stellt die Fragen. Christian Gotzen, Pastor der St. Petri Domgemeinde Bremen, führt durch den Abend. Seine Frau, Susann Kirschke-Gotzen, liest aus den Erinnerungen des Psychoanalytikers Carl-Gustav Jung. Der Künstler Markus Löffler steht für eine anschließende Diskussion bereit.

Löffler und sein Kompagnon André Korpys haben ihr Konzept für „Niemand ist eine Insel“ entwickelt. Dessen 16 kooperativen Kunstprojekte, initiiert von der Gesellschaft für Aktuelle Kunst, gelten als eines der wenigen ausdrücklich benannten Referenzprojekte für Bremens Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2010. Unter dem Titel „Etagentraum“ verknüpfen Korpys und Löffler mit der Installation des enthaupteten Psychoanalytikers fast vergessene Relikte der Bremer Geschichte. Und Mythen, die auch nach Jahrhunderten in der Stadt weiter existieren und ihre Lebendigkeit beweisen.

Das Künstler-Duo möchte des Analytikers Haupt als Symbol für die zerstörte Vater-Sohn-Beziehung zu seinem Schüler Jung verstanden wissen. „Ich halte Ihre Deutung des Analytikerbesuches in Bremen für falsch“, wendet sich ein jüngerer Besucher gegen Löffler. „Als ob deren psychologische Diskussion 1:0 ausgegangen wäre.“ Als die Psycho-Gurus 1909 in der Hansestadt weilen,zeigt sich Jung besonders begeistert von den Mumien des Bleikellers – und schürt damit den Zorn seines Lehrmeisters. „Was haben Sie denn mit diesen Leichen?“ Freud ist erbost und fällt in Ohnmacht. Die nachfolgende USA-Reise vergrößert die Kluft zwischen den beiden. „Für mich war es eher ein ewiges Elfmeterschießen“, ergänzt der kritische Kulturkonsument. Beipflichtendes Gemurmel.

Die Installation knüpft auch an die Lokal-Geschichte an. Denn sie symbolisiert das Ende der Blutspur, die Gesche Gottfrieds Kopf im Jahr 1831 nach dem Schwertstreich ihres Henkers hinterließ. Die Massenmörderin fiel damals der letzten öffentlichen Hinrichtung in Bremen zum Opfer. Nach der Exekution stellte man ihren Kopf zur Schau – natürlich im Bleikeller.

Auch wenn das dargestellte Abbild verklärt klischeehaft daherkommt – die Präsentation ist anregend. Im Gewölbe treffen Vergangenes und Vergängliches konserviert aufeinander, verleihen die Mumien den Räumen etwas Furchteinflößendes. Der Keller als historischer Knotenpunkt und Anreiz zu weiterführenden Diskussionen.

„Ich finde es okay, so wie es ist“, murmelt Markus Löffler und meint den schimmernd-glotzenden Silikonkopf. Der Künstler fällt während der abschließenden Diskussion etwas aus dem eigenen Rahmen. Gerne überlässt er Pastor Gotzen die Gesprächsführung und nimmt Deutungsversuche stillschweigend zur Kenntnis. Etwas beliebig, wie auch das Konzept, dass viele – vielleicht zuviele – Interpretationen zulässt. Dirk Strobel