Ewig lacht die Sonnenblume

Vom düsteren Atommeiler bis zum milde lächelnden Joschka: Ab heute zeigt eine Ausstellung in der Heinrich-Böll-Stiftung grüne Plakate der letzten 25 Jahre – und zudem die Wandlung einer Partei

von GRIT EGGERICHS

Der Hase im Visier des Jägers – auf einem der ersten Grünen-Plakate ist diese Szene zu sehen. „Beuys: Der Unbesiegbare“ steht am Rand. Joseph Beuys war einer der Parteigründer und gab das Werk 1980 für ein Plakat her. Nur die Schrift leuchtet grün: „Bei dieser Wahl: Die Grünen.“ Beuys’ Grafik ist schwarzweiß. Ein billiger Druck, als hätten die Aktivisten das Blatt selbst aus der Presse gezogen und sich diebisch gefreut an einem Motiv, über das man schon einmal länger nachdenken muss.

Groß ist der Hase, klein der Mensch mit dem Gewehr. Nur wer seine „Wunde“, seine Schwächen, zeige, werde unbesiegbar sein, meinte der Künstler Beuys, einer der ersten Ökoaktivisten der Nachkriegszeit. Das Tier steht schutzlos im Feld, ein zerbrechlicher Anfang grüner Politik. Dieses frühe Plakat kann als „Werbung“ kaum gelten. Zu filigran ist es in seiner schlichten Bildsprache – ganz anders als Sonnenblumen-Wonnen und düstere Voraussagen atomarer Katastrophen.

Von diesem Standardtypus finden sich so einige Exemplare in der Ausstellung „Grüne Anschläge – 25 Jahre Grüne Plakatkunst“, die heute Abend eröffnet wird. Ort: die Bürokorridore der Heinrich-Böll-Stiftung am Hackeschen Markt. Galerieflächen wären einer politischen Plakatausstellung nicht angemessen, findet Anne Vechtel vom Archiv Grünes Gedächtnis, die Kuratorin. „Wir von der Stiftung wollen uns damit auch die Nähe zu grüner Politik vor Augen führen.“

Sie steht vor einem Plakat, auf dem Andrea Fischer herzlich lacht und ihre Designerbrille zurechtrückt: „Unser Fischer heißt Andrea!“ steht drunter. Das war vor der Bundestagswahl 1998. Und vor BSE. Daneben hängt Joschka, der andere Fischer. Vera Lorenz, Sprecherin der Böll-Stiftung, hat gegenüber ihr Büro: „Wir hängen die Bilder jeden Morgen um. Ich will nicht immer Joschka sehen, wenn ich aus der Tür komme.“

Sechs Monate sollen die Plakate hängen bleiben. Joschkas Torso von 1994 zeigt einen noch rundlichen Fischer, hemdsärmelig, das Jackett hängt locker am Finger über der Schulter. Sanft lächelt der Ex-Sponti. So farblos wie die Bildkampagne klingt auch der Slogan: „Nur mit uns. Ein Land reformieren.“ Bieder und verlässlich: Mit diesem Image wollte die Partei, die 1983 in den Bundestag eingezogen war und im achten Jahr wieder rausflog, nun erneut Wählerinnen und Wähler locken.

Und so näherte man sich 1994 der Ästhetik der FDP an: Milde lächelnde Galionsfiguren wurden ins rechte Bild gesetzt. Die Erlaubnis zur Selbstinszenierung, zum „personenzentrierten Wahlkampf“, war Hans-Christian Ströbele zur nächsten Bundestagswahl ganz recht. Er ließ 1998 sein Porträt mit wilder Frisur bunt kolorieren: Wie Andy Warhols Marilyn lacht er vom Plakat. „Grün. Direkt. Ströbele.“ Direkt rein kam er erst vier Jahre später.

Ströbeles Plakat und auch der letzten farbenfrohen Kampagne, etwa mit miesepetrigem Stoiber vorm Brandenburger Tor, gelingt die Anknüpfung an die bunte Aufbruchstimmung aber nicht ganz. Die Plakate der Achtziger hatten Flower-Power: Da schlängelten sich Pflanzen durchs Bild, in denen sich ungezügelte Weiblichkeit wider männliches Politikersitzfleisch ausdrückte, Sonnenblumen, natürlich! Wie auf dem gemalten Poster von 1983, auf dem die schwarzen Nietenkästen des Bonner Parlaments überwuchert werden von großblättrigen Ranken und gelben Blüten. Neben dieser bildlichen Energie geriet der tatsächliche Einzug der ersten Grünen in den Bundestag, mit Schnittblumen bewaffnet, eher sittsam. Der Schöpfer des Werks sei leider unbekannt, bedauert Kuratorin Vechtel: „Ich habe alle angerufen, um den Namen zu erfahren. Selbst die alten Mitglieder, die heute auf Bauernhöfen im Wendland sitzen.“

Die Sonnenblume jedenfalls hat sich als Sympathieträgerin immer wieder den Erfordernissen aktueller Politik anpassen lassen. Das Logo „Atommeiler“ hat sich ebenfalls erhalten: natürlich mit kleinen Veränderungen, die man in der Ausstellung „visuell erfahren“ kann, um im Sprachduktus der Achtziger zu bleiben. Bei Anne Vechtel rufen immer wieder Leute an, die nach Dubletten einiger Plakate verlangen. Und wenn Beuys Recht hat und jeder ein Künstler ist, dann sind auch die biedersten Plakate wertvoll. Kulturhistorisch sind sie es auf jeden Fall.