„Er muss das wieder und wieder erzählen“

Kinder wie Diko waren Soldaten, ehe sie nach Deutschland kamen: Terre des hommes hat erstmals ihre Geschichten im Wortlaut protokolliert – und ihre Ängste: „Besser, wenn ich hier sterben, besser für mich als zurück in mein Land“

BERLIN taz ■ Was Diko als Kind so den ganzen Tag gemacht hat, damals in Sierra Leone, daran kann er sich noch heute genau erinnern: „ Wir mussen schießen (…) mach alle Leute tot. (…) Mal nehm Messer, mach Kinder oder Frauen Hände ab oder Kopf.“ Wort für Wort hat Michaela Ludwig seine Geschichte aufgeschrieben – für die erste Studie über Kinder, die Soldaten waren, ehe sie nach Deutschland kamen. „Um die Erlebnisse seiner Kindheit zu verarbeiten, muss er das immer und immer wieder erzählen.“

Diko kämpfte als Kindersoldat für eine Rebellenorganisation in Sierra Leone. Im Alter von 7 Jahren wurde er rekrutiert, mit 15 gelang ihm die Flucht in die Bundesrepublik. Elf Interviews hat Ludwig im Auftrag von terre des hommes geführt, gestern stellte die Kinderschutzorganisation die Protokolle in Berlin vor. „Wir sprachen unter anderem über ihre Erlebnisse als Kindersoldaten, über die Lebensbedingungen in Deutschland und über ihre Wünsche für die Zukunft“, sagt Ludwig. Um aber überhaupt eine Zukunft zu haben, müssten die ehemaligen Kindersoldaten eine erfolgreiche Therapie bekommen. „Das Wichtigste für den Erfolg ist dabei ein gesichertes Aufenthaltsrecht.“ Der Gedanke an Rückkehr ist für die meisten unerträglich. Diko schildert das so: „Ich denk manchmal, vielleicht kommt jetzt gleich die Polizei, die meint: „(…) Du musst in dein Land zurück. Dann weiß ich, ich bin tot. Besser, wenn ich hier sterben, besser für mich als zurück in mein Land.“

Viele der Kinder haben ihre Familie verloren. So wie Antonio aus Angola: „Als ich zurückkam (…) von der Schule, (…) dann (…) das Haus war ganz zerstört, und ich hab meine Eltern nicht gesehen, und dann kam meine Nachbarin (…) und (…) hat mir gesagt: ‚Deine Eltern sind tot.‘“

Das übliche Asylverfahren ist für eine Therapie eher hinderlich, meint Michaela Ludwig. „Sie wissen häufig nicht, wer nach welchen Kriterien die Entscheidungen trifft.“ So dachte ein Junge, dass er nach einer Anhörung wieder in sein Heimatland geschickt würde: „Ja, ich hatte Angst, dass er vielleicht sagt: ‚Jetzt musst du zurück.‘“

Ganz so falsch liegt er mit dieser Befürchtung allerdings nicht. Erfolgreich sind die Asylanträge der ehemaligen Kindersoldaten selten. Für Bundesregierung und Justiz gelten sie nicht als politisch Verfolgte, sondern als Deserteure. Sie erhalten nur eine Duldung.

Dabei ist bei den Flüchtlingen die viel geforderte Integrationsbereitschaft häufig sogar im Übermaß vorhanden. Hamed, der mit 15 vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban aus Afghanistan geflohen ist, hat das deutsche Leistungprinzip schon verinnerlicht: „Die müssen irgendwann eine Unterschied zwischen die Jugendliche haben. (…) die müssen sehen Zeugnisse und danach entscheiden.“ Da dürfte sich sogar Otto Schily freuen.

RUDI NOVOTNY