Gefährlicher Ort: U-Bahnhof

Vor einem Jahr wurde eine junge Kreuzberger Studentin vor die U-Bahn geschubst. Wegen versuchten Mordes steht seit gestern nun ein 28-Jähriger vor Gericht

Der Prozess gegen den 28-Jährigen, der im August vergangenen Jahres eine Studentin vor eine einfahrende U-Bahn auf der Linie 6 gestoßen haben soll, findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das entschied gestern die 40. Kammer des Landgerichts Berlin. Die Anklage wirft dem in Guinea geborenen Mohammed C. versuchten Mord vor. Er soll am 17. August 2002 eine ihm unbekannte 25-jährige Kreuzbergerin im U-Bahnhof Paradestraße vor einen Zug gestoßen haben.

Die junge Frau erlitt lebensgefährliche Verletzungen, als sie vom Zug erfasst wurde. Noch heute ringt sie mit den Folgen der schweren Kopfverletzung und den Trümmerbrüchen. Eine unmittelbare Erinnerungen an den Tathergang hat sie nach Auskunft der Nebenklage-Vertreterin nicht.

Das Gericht begründete den Ausschluss der Öffentlichkeit mit der psychischen Erkrankung des Angeklagten. Mohammed C. sei aufgrund einer paranoiden Schizophrenie schuldunfähig, erklärte Staatsanwalt Holger Freund. Auch das Motiv der Tat sei krankheitsbedingt. Mohammed C., der seit längerem als Asylsuchender in Brandenburg gemeldet war, hat eine lange Geschichte von Psychiatrieaufenthalten hinter sich – unter anderen in Kliniken in Brandenburg und Berlin. Der wegen kleinerer Drogendelikte polizeibekannte C. sei „ein ganz schwieriger Mensch, den alle loswerden wollten“, so Staatsanwalt Freund.

Einen Tag vor dem Angriff auf die Studentin war C. gegen seinen Willen aus der psychiatrischen Abteilung des Kreuzberger Urban-Krankenhauses entlassen worden. Die Ermittler rekonstruierten im Nachhinein, dass der 28-Jährige allerdings wenig später ins Urban-Krankenhaus zurückgekehrt war und sich dort in ein Bett gelegt hatte. „Er hat das Krankenhaus als sein Zuhause angesehen“, so Staatsanwalt Freund. Als das Klinikpersonal C. zum Gehen aufforderte, begann der 28-Jährige um sich zu schlagen. Der Anklagevertreter sagt, C. habe „randaliert, um ein Dach über dem Kopf zu haben“. Das Krankenhauspersonal rief daraufhin die Polizei und die führte Mohammed C. einem Bereitschaftsrichter vor, der über einen Haftbefehl entscheiden musste. Der Richter habe zu Recht befunden, keine Untersuchungshaft zu verhängen, so die Staatsanwaltschaft gestern. Eine derartige „Fehleinschätzung“ sei möglich, weil einerseits bloßes Randalieren kein ausreichender Haftgrund sei, andererseits für eine Einweisung in eine geschlossene Psychiatrie schwerwiegende Gründe vorliegen müssten. Hinter verschlossenen Gerichtstüren wird sicherlich die Frage nach der Verantwortlichkeit des Urban-Krankenhauses gestellt werden.

Mohammed C. jedenfalls verließ nach der Entscheidung des Richters die Gefangenensammelstelle im LKA Berlin und ging zum nahen U-Bahnhof Paradestraße. Dort sah er die junge Kreuzbergerin, die er ohne Vorwarnung angriff. In den bislang geplanten vier Verhandlungstagen muss das Gericht nun unter anderem zu einer abschließenden Bewertung der Schuldfähigkeit des Angeklagten kommen. HEIKE KLEFFNER